Über die Hälfte der Fusionen scheitert

Die Unternehmen denken zu viel an Kostenreduzierung und zu wenig an Ökologie und Zivilgesellschaft, urteilen Wirtschaftsberater

BERLIN taz ■ Die Fusion von DaimlerChrysler ist gescheitert, wofür eine ganze Reihe sachlicher Gründe verantwortlich sind. In den USA hat der Konzern die falschen Autos gebaut, die Wünsche der Kunden nach Sprit sparenden Modellen falsch eingeschätzt und die Entwicklung der Rohölpreise ignoriert. Aber neben diesen und vielen weiteren Fehlentscheidungen des Managements in den Konzernzentralen in Stuttgart und Auburn Hills stellt sich kurz vor der Spaltung der „Welt AG“ die Frage: Ist die DaimlerChrysler-Fusion nicht schon an der Fusion gescheitert?

„Über die Hälfte der Transaktionen, vor allem die feindlichen Übernahmen, erreichen ihr Ziel nicht“, hat Wirtschaftswissenschaftler Felix Lowinski in einer Untersuchung für die Uni Witten-Herdecke herausgefunden. Vor allem bei der letzten großen Fusionswelle von 1993 bis 2000 habe eine überzogene und damit naive Vorstellung über die Wertsteigerung nach Fusionen geherrscht. Denn die Vorstände und ihre Berater starren vor einer Fusion nur auf die Zahlen, rechnen Umsatz und Rendite hoch und die Kosten runter. Aus der rein finanziellen Betrachtung ergeben sich dann die Synergieeffekte, mit der Fusionen Anlegern und vor allem Analysten schmackhaft gemacht werden.

Der Shareholder-Value war auch einer der Hauptgründe, den der frühere Daimler-Chef Jürgen Schrempp für die Fusion mit Chrysler anführte.

Schrempp richtete den Konzern allerdings schon vor der Fusion einzig auf den Aktienwert aus – und vernichtete damit tausende von Arbeitsplätzen und nun auch den Konzern. Denn auf Börse und Analystenmeinungen fixiert, hat Schrempp versäumt, eine tragfähige Strategie zu entwickeln. „Der Kapitalmarkt erinnert an die Geschichte vom Fischer und seiner Frau: Er will immer mehr“, sagt Bolko von Oettinger, Geschäftsführer der Boston Consulting Group. „Aber irgendwann geht den Unternehmen die Puste aus. Der Kapitalmarkt beeinflusst deswegen nicht nur die Langfristigkeit, sondern hindert Unternehmen, sich der Zivilgesellschaft oder der Ökologie zuzuwenden.“ Unternehmen, die nur auf Effizienzsteigerung ausgerichtet seien, hätten keine Chance. Denn die kurzfristig niedrigeren Kosten nach dem Arbeitsplatzabbau – die Synergieeffekte – ersetzen keine tragfähige Unternehmensstrategie.

„Tendenziell sind hohe Synergiepotenziale mit höherer Unähnlichkeit in den Unternehmenskulturen verbunden“, sagt Unternehmensberater Hermann Simon. Er unterstützt Konzerne nach einer Fusion darin, ihre unterschiedlichen Unternehmenskulturen miteinander zu vereinen. Mit anderen Worten: Er bringt die Mitarbeiter dazu, miteinander zu sprechen, zusammenzuarbeiten und nicht einzig einen Revierkampf um ihre Stelle zu führen. Simon hat festgestellt: Mindestens zwei Jahre brauchen Führungskräfte nach einer Fusion, bis sie sich wieder auf ihre Arbeit konzentrieren können. Der eigentliche Wert eines großen Zusammenschlusses entsteht laut Simon daher „nicht durch den Deal, sondern erst durch die Integration“. Solange Vorstände das menschliche Miteinander vernachlässigen, werden Fusionen nicht die in sie gesetzten Hoffnungen erfüllen.

Am Menschlichen scheitern Konzerne, auch ohne dass sie einen ehemaligen Konkurrenten vereinnahmen. Bis zu 50 Prozent ihrer Zeit verbringen hochgestellte Manager in deutschen Konzernen mit Abwehrkämpfen in ihrer Peergroup, um ihre Karriere zu sichern. Dazu zählt auch, dass sie ihre Mitarbeiter mit E-Mails bombardieren und unzählige Meetings ansetzen, mit denen sie Produktivität vortäuschen. Eine Angestellte hierzulande braucht im Schnitt acht Stunden in der Woche, um Mails zu beantworten und weiterzuleiten. Der deutschen Wirtschaft gehen durch die Egomanie von Führungskräften 170 Milliarden Euro im Jahr verloren. Das sind acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts. ULRIKE FOKKEN