Der Barmherzige

VON BAHMAN NIRUMAND

Die seit zwei Wochen in iranischer Gefangenschaft gehaltenen 15 britischen Marinesoldaten sollen freikommen. Das hat überraschend Irans Staatspräsident Mahmud Ahmadinedschad bei seiner gestrigen Pressekonferenz angekündigt – ein Ostergeschenk des islamischen Fundamentalisten an den ungläubigen britischen Premier, Tony Blair.

Die Pressekonferenz, an der mehr als 200 in- und ausländische Journalisten teilnahmen und von mehreren Fernsehanstalten, darunter CNN und BBC, direkt übertragen wurde, war wieder einmal eine gelungene Inszenierung, ein Medienspektakel wie es schon Ajatollah Chomeini in seinem Pariser Exil veranstaltete, um seine Botschaften an die Welt zu verkünden. Die Festnahme von 15 britischen Marinesoldaten im Schatt al-Arab, der Meerenge zwischen Irak und Iran, vor zwei Wochen hatte eine schwere internationale Krise ausgelöst. Ahmadinedschad erklärte, er habe die Soldaten begnadigt, dies sei ein Geschenk an das britische Volk.

Die Regierung in London reagierte erleichtert auf die Ankündigung. „Wir begrüßen, was der Präsident über die Freilassung unserer 15-köpfigen Besatzung gesagt hat“, sagte eine Sprecherin von Premierminister Tony Blair. Die Regierung habe Kontakt aufgenommen, um die Einzelheiten der Freilassung zu klären.

Es scheint, dass Mahmud Ahmadinedschad, den man im Westen oft als den „Verrückten aus Teheran“ bezeichnet, die Psychologie der Massen und die Instrumentalisierung der Medien besser beherrscht als seine Kollegen in London und Washington. Während Tony Blair mal drohend, mal bittend den Eindruck eines Verzweifelnden vermittelte und US-Präsident George W. Bush wieder die Kriegskeule schwenkte, ging man in Teheran systematisch vor und versuchte aus dem Vorfall so viel Kapital wie möglich zu schlagen.

Immer wieder wurden die gefangenen Briten im Fernsehen vorgeführt, mal Hähnchen essend, mal Schach spielend, in fröhlicher Stimmung, als wären sie im Urlaub. Dabei sagten sie immer wieder, dass sie, wie Iran behauptet, unerlaubt in iranische Gewässer eingedrungen waren.

Bei der Affäre sprang für den Iran aber nicht nur Werbung heraus. Offenbar gelang es den Verhandlungsführern, hinter den Kulissen die Freilassung eines iranischen Diplomaten im Irak, der vor Wochen von Kidnappern entführt worden war, durchzusetzen. Auch vier iranischen Diplomaten, die sich in Bagdad in amerikanischer Gefangenschaft befinden, erhalten offenbar Besuchserlaubnis – ein Deal, der sowohl von den USA als auch von den Briten wie vom Iran bestritten wird.

Ahmadinedschad nutzte die Pressekonferenz zu einem Rundumschlag gegen die USA und die Briten. Iran habe schon immer seine Grenzen zu verteidigen gewusst und werde auch in Zukunft keiner Macht der Welt erlauben, sie zu verletzen. Er verlieh den iranischen Offizieren, die an der Festnahme der 15 britischen Soldaten beteiligt waren, die Tapferkeitsmedaille, umarmte und küsste sie vor laufenden Kameras. Und dann ließ er gegenüber den Gefangenen Gnade walten.

Was hatte aber Ahmadinedschad, der sonst keine Gelegenheit auslässt, um den „Aggressoren“ Hiebe zu erteilen, zu dieser Milde gestimmt und ihn dazu bewogen, die bedrohlichen Wogen zu glätten? Offenbar der innere Machtkampf, der seit geraumer Zeit im Iran immer heftiger tobt. Machtkämpfe hat es im islamischen Gottesstaat Iran immer gegeben. Aber die Front, die sich gegenwärtig zwischen den Radikalen und den Moderaten bildet, scheint an die Substanz zu gehen. Iran steht an einem Scheideweg. Entweder wird es den Radikalislamisten um Ahmadinedschad, die vor allem von größeren Teilen der Revolutionswächter und paramilitärischen Kräften unterstützt werden, gelingen, die Macht zu monopolisieren, oder seine Kritiker, die Moderaten, die Reformer werden es schaffen, ihm das Steuer aus der Hand zu nehmen. In dieser Runde scheinen die Moderaten gesiegt zu haben.