Früher kühl, jetzt bieder

Christoph Hein ist in einer Krise. Das zeigt sich deutlich am Roman „Frau Paula Trousseau“

VON MAJA RETTIG

Sind die Zeiten jetzt vorbei, da man sich auf einen Roman von Christoph Hein freuen konnte, auf aufregend kühle Bücher über entfremdete Menschen?

Man freute sich noch einmal und stieß auf Frau Paula Trousseau, die neue Titelheldin. Die hat ihr Leben lang nichts mit Frankreich zu tun, den Namen hat sie aus einer kurzen ostdeutschen Ehe. Allerdings stirbt sie in Frankreich einen Freitod, der als Rätsel am Anfang steht. „Frau Paula Trousseau“ evoziert natürlich „Madame Bovary“, das Protoschicksal der unglücklichen Frau, deren Ausbruchsversuche in den Tod führen. Wo allerdings über Suizid und Titel hinaus die Parallelen liegen sollen, das ist die große Frage.

Ist es das frauenfeindliche Klima in Elternhaus und Gesellschaft? Das ist bei Christoph Hein diesmal so holzhammerhart frauenfeindlich, dass man lange nicht weiß, in welchem Jahrhundert man sich befindet, bis dann der erste Hinweis auf die DDR in den 1950er Jahren kommt. Die Äußerungen des Vaters und des Ehemannes sind dabei einfach zu platt und ungeheuerlich.

Paula beißt sich trotzdem durch, gegen alle Widerstände geht sie auf die Kunsthochschule und wird Malerin. Sie kann sogar von ihrer Kunst leben. Vom rückständigen Ehemann lässt sie sich scheiden. Dadurch verliert sie zwar die Tochter, aber ein selbstbestimmtes Leben an einem Ort der eigenen Wahl ist eine Möglichkeit, die Emma Bovary im 19. Jahrhundert nicht hatte. Was ist also tragisch am Schicksal von Paula Trousseau? Sie erzählt ihr Leben größtenteils selbst, von einem externen Erzähler werden Kindheitskapitel zwischengeschaltet. Diese als Schlüssel für ihre Verstörung zu nehmen, wäre zu einfach, weil diese Kapitel selbst zu einfach sind. Der Vater ist ein Vollarschloch, die Kindheit ein einziges Jammertal, aus der sie ja dann prima herausfindet. Eine angedeutete frühe Liebesverletzung wird ebenfalls nicht nachvollziehbar, da nicht gezeigt.

Oder ist sie doch selbst das „eiskalte Luder“, wie ihr immer wieder vorgeworfen wird? Die Position des Textes ist da unklar. Ist es grausam, sein Kind bei einer Scheidung zu verlassen? Millionen Männer tun das. Ist es kalt, nicht mit jemandem zusammen sein zu wollen, den man nicht liebt? Irritierend viel Raum gibt Hein Thesen, die besagen, Frauen in der Kunst benutzten diese, weil sie das Leben nicht bestehen. Wurde das je über bindungsunfähige männliche Künstler gesagt?

Nein, die Hauptfigur wird nicht plausibel und schon gar nicht exemplarisch. Die ganze Anlage ist fragwürdig, ergänzt um viele weitere Inkonsistenzen, die sich nicht als beabsichtigte Widersprüche verbuchen lassen. Etwa Paulas lesbische Neigungen, um die viel erzählerischer Wind gemacht wird. Zuerst kann sie sich die nicht eingestehen, dann plötzlich könnte sie sogar ihren Eltern davon erzählen. Aber warum kommt sie dann nie auf die Idee, mit einer Frau zu leben? Hier werden keine Entwicklungen gezeigt, hier wird grob aneinander gezimmert, und das Gerüst ist ein aufreizend biederer Faktenbericht. Bei einem Zeitraum von mehr als vierzig Jahren werden Wochentage von Nebenereignissen angegeben, Nebenstfiguren namentlich eingeführt. Alltagshandgriffe ganz ohne Informationswert werden brav rapportiert: „Ich packte meine Reisetasche aus, hängte das Kostüm für den nächsten Tag auf einen Bügel und fragte, ob wir zu Hause essen oder ausgehen wollen, ich hätte etwas Geld eingesteckt und könne sie einladen. Katharina sagte, sie habe für das Abendbrot und Frühstück eingekauft, wenn ich mich im Zimmer eingerichtet habe, könne ich in die Küche kommen und den Salat machen.“

Die ganze Erzählung hat keinen Rhythmus, keine Dramaturgie. Die Dialoge sind viel zu lang und quälend unbeholfen, mit ebenso wenig Gespür für das Wesentliche. Die Sprache ist trocken bis klischeehaft und erinnert mitunter an Mädchenromane. Da schüttet man sich aus vor Lachen, schließt einander ins Herz, hält die Ohren steif, amüsiert sich königlich oder freut sich wie eine Schneekönigin. Wo Realismus und Figurenpsychologie beabsichtigt sind, wird schließlich überhaupt nichts kenntlich – übrigens auch nicht die DDR oder die Wende, dafür ist die Protagonistin zu unpolitisch.

Nun könnte man, letzter Rettungsversuch, im Sinne der Rollenprosa einwenden, Paula Trousseau sei ja auch nicht hauptberuflich Schriftstellerin, sondern Malerin. Aber auch das haut es nicht raus: Die Kindheitskapitel sind in derselben Weise abgefasst. Der Erzählerwechsel hat keine Funktion. Bleibt die Frage, was mit Christoph Hein los ist. In seinem Klassiker „Der fremde Freund“ (1985) hatte er doch bewiesen, dass er es kann: im entfremdeten Leben einer Frau gesellschaftliche Wirklichkeit erfassen. Warum misslingt das hier so radikal? Noch in „Willenbrock“ (2000) war er mit der Verstörung seines Protagonisten auf der Höhe seiner Zeit. Doch seit dem RAF-Roman „In seiner frühen Kindheit ein Garten“ (2004) ist das Subtile und Kühle umgeschlagen in nachlässige, leblose Biederkeit – jetzt ist die Leserin die Verstörte, schmerzhaft entfremdet von Christoph Hein.

Christoph Hein: „Frau Paula Trousseau“. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2007, 537 Seiten, 23,50 Euro