„Der Mensch sehnt sich nach Frieden“

Der Berliner Ostermarsch wird 40 Jahre. Grund zum Feiern gibt es allerdings nicht, sagt Laura Freiin von Wimmersperg. Seit 27 Jahren ist sie in der Friedensbewegung aktiv, seit einem Vierteljahrhundert organisiert sie den Berliner Ostermarsch. Es habe schon mal friedvollere Zeiten gegeben

Wenn soziale Bewegungen nicht so institutionsfeindlich wären – Laura Freiin von Wimmersperg wäre eine Institution. Das Urgestein der Berliner Friedensbewegung hat 1982 zum ersten Mal einen Ostermarsch organisiert. Seitdem koordiniert sie die „Berliner Friedenskooperative“ (Friko), einen Dachverband von mehreren Dutzend Friedensinitiativen. Die 72-Jährige stammt aus einer schlesischen Adelsfamilie, hat die meiste Zeit ihres Lebens aber in Berlin verbracht. Sie war Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei Westberlin (SEW) und ist jetzt bei der Linkspartei. Bis 1985 war sie Lehrerin an einer Hauptschule. FLEE

INTERVIEW FELIX LEE

taz: Frau von Wimmersperg, in diesem Jahr wird der Berliner Ostermarsch 40 Jahre alt. 25 Jahre davon haben Sie ihn mitorganisiert. Werden Sie mit Sekt anstoßen?

Laura von Wimmersperg: Das ist ganz eigenartig. Aber wir vergessen oft zu feiern. Nein, ich denke nicht, dass wir anstoßen werden. Denn richtige Freude kommt auch bei mir nicht auf. Die politischen Verhältnisse sind heute viel gefährlicher als damals. Und die Umstände, unter denen wir derzeit arbeiten, sind auch nicht gerade rosig.

Wie meinen Sie das?

Es ist kein Geheimnis, dass wir momentan nicht besonders mobilisierungsstark sind. Als wir Anfang der 80er-Jahre in Berlin mit dem Ostermarsch wieder begonnen hatten, waren viele Menschen gegen die Stationierung von Atomwaffen auf der Straße, weil sie Angst vor einem Krieg hatten. Damals hatten wir geglaubt: Wenn wir nur viele sind, werden wir uns mit unseren Forderungen schon durchsetzen. 1983 sprachen sich 72 Prozent gegen die Stationierung der Pershing-Raketen aus. Einen solchen Gegenwind konnte die Regierung nicht ignorieren. Wir hatten uns getäuscht.

Wann ist die Stimmung gekippt?

Ende 1983 kam der Stationierungsbeschluss. Für uns war das eine große Niederlage. Viele stiegen frustriert aus. Ich gehörte damals der Wilmersdorfer Friedensinitiative an. Wir fanden schnell Aktivitäten, die geeignet waren, den Widerstand gegen die Aufrüstung fortzuführen. Wir riefen die Kampagne „Unsere Stadt gegen Atomwaffen“ ins Leben. Im Rahmen dieser Kampagne haben wir den Friedensfilmpreis ins Leben gerufen und das Deutsch-Japanische Friedensforum gegründet. Bis zum Mauerfall hat die Kampagne getragen.

Was hat Sie so lange gehalten?

Ich organisiere mit den anderen nicht um des Gelingens Willen. Wir müssen das machen und aufzeigen, wie bedrohlich die Kriegspolitik auf der Welt ist.

Sind denn noch viele Aktivisten von damals dabei?

Nein, viele gibt es nicht mehr. Gerade in den vergangenen zehn Jahren ist für viele die soziale Bedrohung stärker geworden. Darunter leidet natürlich das Engagement. Als Friedenskoordination sind wir ein Netzwerk. Es kommen viele, wenn es einen Anlass gibt. In den Zeiten dazwischen bemühen wir uns, die Strukturen aufrechtzuerhalten und das Netz zu erweitern.

Mit Blick auf den Iran ist die Kriegsbedrohung aktuell größer denn je.

Ja, es kann sein, dass die USA den Iran bombardieren werden und vor allem die Atomanlagen im Visier haben. Das würde den Flächenbrand noch weiter ausdehnen.

Sind die Menschen abgestumpft?

Das kann man so nicht sagen. Es ist heute vielen bloß nicht klar, was da läuft. Ich finde den iranischen Präsidenten Ahmadinedschad auch sehr gefährlich. Doch letztlich macht der Iran nichts anderes als die Staatengemeinschaft auch: Er rüstet auf, und zwar im Rahmen des Atomwaffensperrvertrags. Man darf nicht mit zweierlei Maß messen.

Aber wie erreichen Sie mit Ihrem Protest Bush und Blair?

Selbst wenn wir sie nicht erreichen, können wir nicht aufgeben. Wir halten die Friedensoption im öffentlichen Bewusstsein. Im Übrigen sind wir längst ein Teil einer weltweit vernetzten Bewegung. Bush und Blair kriegen uns als Weltfriedensbewegung sehr wohl mit.

Zumindest in den vergangenen Jahren war der Ostermarsch in Berlin eher ein Happening. 1999 demonstrierten viele gegen den Kosovokrieg. 2003 waren viele wegen des Kriegs im Irak auf der Straße. Doch wirklich dauerhafte Impulse gingen nicht aus.

Die Bewegung 2003 war so groß, weil der Jugoslawienkrieg noch nicht so lange her war. Die Muster der Kriegsinszenierungen waren sehr ähnlich. Insofern bauten sie schon aufeinander auf. Aber klar, in den Folgejahren waren wir nicht mehr viele.

Hat das Konzept Ostermarsch nach 40 Jahren ausgedient?

Der Ostermarsch knüpft an eine alte Tradition an und erinnert daran, dass die Gefahr eines Atomkriegs nach wie vor nicht gebannt ist. Und diese 40 Jahre zeigen, wie alt dieser Kampf schon ist. Zugleich wird daran erinnert, dass der Ostermarsch kirchliche Wurzeln hat: Auferstehung, dem Leben zugewandt. Diese ganzen Gesichtspunkte haben dem Ostermarsch eine eigene Komponente gegeben. Es geht uns um die Abschaffung der Atomwaffen. Und es geht uns um die Erhaltung des Lebens.

Was nützt eine Demonstration, wenn sie nur noch als Ritual empfunden wird?

Die Berliner Friedensbewegung ist ja nicht tot. Direkt vor unserer Haustür ist die Freie Heide. Dort kommen jedes Jahr Tausende zum Ostermarsch. Darunter sind auch viele Berliner. Und das ist auch gut so. Denn wenn wir dieses Bombodrom verhindern, wird den Kriegswilligen ein wichtiges Versatzstück aus der Hand genommen. Dafür nehme ich gerne in Kauf, dass der Ostermarsch in Berlin mau ausfällt.

Die Linkspartei-Spitze hat den Aufruf zum Berliner Ostermarsch nicht unterschrieben. Ein Argument: Selbst der Aufruf sei vom letzten Jahr.

So ein Quatsch. Natürlich setzen wir jedes Jahr neue Schwerpunkte. Wir beziehen uns ganz aktuell auf den deutschen Tornado-Einsatz in Afghanistan. Die afghanische Kinderzeichnung mit der Aufschrift „Wir wollen Frieden“ auf dem Aufruf unterstreicht das. Außerdem haben wir die PDS eingeladen, den Aufruf mitzugestalten. Von denen ist aber keiner gekommen.

Was könnte hinter dieser Haltung stecken?

So recht kann ich mir das nicht erklären. Denn zum Ostermarsch in der Freien Heide ruft der Landesvorstand ja auch auf. Ich habe mich daraufhin an die Basis der PDS gewandt. Und immerhin haben acht der zwölf Bezirksverbände unseren Aufruf unterschrieben.

Was wird aus dem Berliner Ostermarsch, wenn Sie sich zur Ruhe setzen?

Gruppen funktionieren immer dann gut, wenn sie eine Struktur haben, die nicht von einzelnen Personen abhängt. Wenn ich nicht mehr kann oder will, könnte es sein, dass es für eine Weile eine Lücke gibt. Diese Lücke wird aber wieder gefüllt werden. Und ich bin sicher, dass der Ostermarsch nicht abgeschafft wird. Der Mensch sehnt sich nach Frieden.