Gruselige Ostermär mit drei Toten

Lagerfeuergeschichten: Grieselpulver und Spinnwebfetzen auf dem Dachboden. Und der Stopfhase

Er wusste nicht, ob er zuerst ersticken oder erblinden würde

Diese Sache passierte am Palmsonntag, und zwar im Haus von Patricks Großeltern. Sie hatten ihrem Enkel zehn Euro fürs Staubwischen auf dem Dachboden versprochen, und weil er meinte, das sei leicht verdientes Geld, nahm er den Auftrag sofort an. Patrick war für seine elf Jahre ein sehr großer, aber nicht sehr cleverer Junge.

Schon nach wenigen Minuten war er eingehüllt in eine Wolke aus Grieselpulver und Spinnwebfetzen, und er wusste nicht, ob er zuerst ersticken oder erblinden würde, so nieste und flennte er. Oma Lisbeth rief ihm durch die Falltür zu, er solle es doch besser mit einem nassen Tuch versuchen und die Oberlichter öffnen. Obwohl Patrick zunächst überhaupt nicht kapierte, was das bringen sollte – er war wirklich etwas schwer von Begriff –, hörte er auf die Großmutter. Etwas später hatte der Flimmernebel sich verzogen und Patricks Augen brannten nicht mehr so schlimm. Aber jetzt, als er klarer sah, hätte er gleich wieder heulen können angesichts der Plackerei, die ihn erwartete. Der Junge dachte lange nach, und dann beschloss er, ausschließlich die interessanten Kisten zu säubern. Die wollte er nach Schätzen durchsuchen.

Doch seine Großeltern horteten keine Schätze, sondern bloß den Schutt ihres Lebens. Patrick fand Schulhefte mit einer seltsamen Schrift, die aussah wie gestickt. Er wühlte sich durch Kleider, die nach Mottenkugeln stanken, durch vergilbtes Geschirr, eine Bierfilzsammlung und Unmengen von Aktenordnern, die irgendwie verbrannt müffelten. Der nasse Lappen in Patricks Hand war bald schwarz und schleimig wie Moder, und der Junge glaubte, dass auch seine Lungen immer dunkler und klebriger wurden. Er wollte schon aufgeben, als er unter einem Riesenstapel verwelkter Zeitungen die Truhe entdeckte. Vom Holz blätterte in großen Platten der Lack, und die Beschläge waren moosgrün angelaufen: Wenn Patrick je eine Schatzkiste gesehen hatte, dann die hier! Er rüttelte am Truhendeckel, das Schloss zersprang, und ein Mief stieg empor, so dick und fest, dass man ihn fast berühren konnte. Etwas Ähnliches hatte der Junge noch nie gerochen. Es müffelte alt, viel älter als alles, was ein Junge von elf Jahren mit nicht viel Grips sich unter „alt“ vorstellen konnte – und sogar Patrick hatte schon von Neandertalern gehört.

In der Truhe lag ein Hase. Kein lebender, natürlich, obwohl er auf den ersten Blick lebendig genug wirkte, um Patrick einen Schreck einzujagen. Das Tier war ausgestopft. Seine Fellhaare krümelten vom Balg, und statt Augen hatte es bemalte Glassplitter. Der namenlose Geruch, den man fast berühren konnte, dünstete aus dieser armseligen Jagdtrophäe, und Patrick ekelte sich sehr, als er sie heraushob. Aber dann hatte er eine Idee.

Es kommt bei Jungs wie ihm recht selten vor, dass sie eine Idee haben. Umso begeisterter halten sie dann daran fest, egal wie bescheuert sie ist. Patrick stellte sich vor, wie seine Schwester Corinna nächste Woche im Garten der Großeltern nach dem Nest des Osterhasen suchen und etwas finden würde, das ihr ganz bestimmt nicht gefiele. Corinna war erst vier Jahre jung und das genaue Gegenteil von Patrick: Zart und schlau – sie konnte schon ihren Namen schreiben. Er musste sie einfach hassen. Patrick malte sich aus, wie Corinna durch den Garten trippelte und das erste Nest fand. Sie würde es hochheben und darunter die Pfoten des Hasen entdecken: großes Geschrei und Geheule! Wenn dann die Familie nach Hause floh, würde auf der Fußmatte vorm Eingang der Kopf des Hasen liegen. Mit einem kleinen Zettel im Maul: „Frohe Ostern, Corinna!“ Welch ein Plan! Patrick stellte die Trophäe vorsichtig ab, lehnte sich gegen einen Kartonstapel und träumte vom Entsetzen im Gesicht der Schwester, aber auch davon, wie er selbst auftreten, den Hasenkopf kaltblütig beiseite räumen und den Eltern und der Schwester sagen würde: „Was seid ihr denn für Babys?!“ Dann nickte Patrick ein. Ein Lichtstrahl traf die Glassplitter im spitzen Kopf des Hasen, und es schien, als würde er blinzeln.

Wenn ihr nun aber glaubt, Corinna hätte im ersten Nest keine Pfoten, sondern die viel zu großen Hände ihres Bruders gefunden und vor der Haustür keinen Hasenschädel, sondern Patricks dicken Kopf: Dann habt ihr euch geirrt. Patrick kam gar nicht erst dazu, den Stopfhasen auseinanderzupflücken. Er starb nämlich auf dem Dachboden an dem Muff, der aus der Truhe aufgestiegen war, und wenig später starben auch die Großeltern daran. Das Osternestsuchen fiel selbstverständlich aus, und eine Zeit lang hatte das Gesundheitsamt viele Scherereien.

In der Aufregung dieser Tage fiel es niemandem auf, als Corinna am Karfreitag mit Wachskreide ihren Bruder malte: Ein kleiner Kreis für den Kopf, ein großer für den Bauch, und in den kleinen Kreis zeichnete sie zwei Punktaugen und einen Sichelmund. Daneben stand gekrakelt: „Froe Osern, Corinna“. Das h und das t konnte sie nämlich noch nicht, so schlau sie sonst auch war. Kay Sokolowsky