Freihandelsabkommen wird ausgesetzt

UKRAINE Die Liberalisierung des Handels mit der EU war ein zentraler Streitpunkt für Russland. Hier setzt Merkel jetzt auf Verhandlungen. Kämpfe um Flughafen bei Donezk erneut aufgeflammt. 65 Gefangene ausgetauscht

Ursprünglich sollte das Freihandelsabkommen am 1. November in Kraft treten

AUS BRÜSSEL ERIC BONSE

Die Ukraine muss länger auf das versprochene Freihandelsabkommen mit der EU warten. Kurz nach Inkrafttreten der neuen Wirtschaftssanktionen gegen Russland hat die EU das Abkommen völlig überraschend ausgesetzt. Es soll nun erst Ende 2015 in Kraft treten, sagte Handelskommissar Karel De Gucht nach Verhandlungen in Brüssel. Russland hatte auf Änderungen gedrängt und mit Strafzöllen auf ukrainische Importe gedroht.

Für Verhandlungen mit Moskau über diesen auch für die deutsche Wirtschaft sensiblen Punkt hatte sich vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel starkgemacht. Das Freihandelsabkommen ist das wirtschaftliche Kernstück des geplanten Assoziierungsabkommens, das in dieser Woche endgültig ratifiziert werden soll. Es sieht den Abbau aller Zölle und anderer Handelsschranken vor.

Die Liberalisierung war von Anfang an ein zentraler Zankapfel zwischen Moskau, Kiew und Brüssel. Der frühere ukrainische Staatschef Wiktor Janukowitsch hatte Nachbesserungen an dem Abkommen gefordert und damit die Proteste am Maidan ausgelöst. Die EU hatte sich lange gegen Änderungen gesträubt.

Mit dem Aufschub will die EU nun auf Russland zugehen und die Zeit für weitere Verhandlungen nutzen. Die Gespräche über den Handel seien Teil eines „umfassenden Friedensprozesses in der Ukraine“, sagte de Gucht. Allerdings lehnte er Änderungen an dem Abkommen ab. Die Ukraine werde keine Nachteile erleiden, da die bereits gewährten EU-Handelserleichterungen in Kraft bleiben.

Ursprünglich sollte das Abkommen schon am 1. November in Kraft treten. Bisher können Waren aus der Ukraine weitgehend zollfrei nach Russland exportiert werden. Die Regierung in Moskau befürchtet, dass künftig Waren aus der EU, für die Russland Zölle erhebt, dann über die Ukraine zollfrei ins Land kommen könnten. Das würde nach ihren Berechnungen einen Einnahmeverlust von rund 2 Milliarden Euro ausmachen. Der Kurswechsel beim Freihandel muss noch von den 28 EU-Staaten gebilligt werden.

Für Ärger sorgen auch die neuen Wirtschaftssanktionen. „Die neuen Sanktionen werden nicht zur Entspannung beitragen“, warnte der Vorsitzende des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, Eckhard Cordes. Dies sei „der Beginn einer gefährlichen Sanktionsspirale“. Dabei hätten die Strafmaßnahmen bisher keine politischen Fortschritte gebracht: „Wir schaden uns zunehmend selbst.“ Am Freitag waren weitere Sanktionen in Kraft getreten, die sich vor allem gegen den Energie-, Rüstungs- und Finanzsektor richten. Moskau wirft der EU vor, damit die ohnehin schon brüchige Waffenruhe zu gefährden.

Gut eine Woche nach Inkrafttreten einer Waffenruhe haben sich die ukrainische Armee und prorussische Separatisten im Osten des Landes wiederholt Gefechte geliefert. Am Wochenende gab es erneut heftige Gefechte rund um den strategisch bedeutsamen Flughafen nahe Donezk. Artilleriegeschütze wurden abgefeuert, Anwohner berichteten vom Beschuss dreier Stadtviertel in Donezk. Über die Zahl der Opfer wurde nichts bekannt. Auch in umliegenden Ortschaften wurde die Waffenruhe durch neuen Gefechtslärm gestört. Dessen ungeachtet wollten am Sonntag beide Seiten jeweils 65 Gefangene austauschen. Seit April wurden in der Krisenregion mehr als 2.700 Menschen getötet und Tausende verletzt.

Russland schickte unterdessen einen zweiten Hilfskonvoi in die Ostukraine. Die Lastwagen mit rund 2.000 Tonnen Hilfsmitteln erreichten am Samstag die Rebellenhochburg Lugansk. Nach ukrainischen Angaben verließen die 216 Lkws die Ukraine am Samstagabend wieder.