Aufsuchende Platzverweise

In der Humboldtstraße ist Straßenprostitution verboten. Den Strich verhindert das nicht. Einst gab es hier aufsuchende Drogenarbeit. Heute gibt es Platzverweise – und Geldstrafen. Wie für Claudia F.

von EIKEN BRUHN

Humboldtstraße, Ecke Goethestraße im Viertel: Seit Jahrzehnten verkaufen in dieser Gegend drogenabhängige Frauen ihre Körper, auch die 29-jährige Claudia S., die am Donnerstag wegen illegaler Prostitution zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. Seit 12 Jahren nimmt sie Drogen, „alles“, wie sie sagt. Bleich und mager hängt sie in ihrem Stuhl, Fragen muss man ihr zwei Mal stellen, bevor sie merkt, dass sie angesprochen wird, auch dann versteht sie vieles nicht. „Das ist kein krimineller Mensch, sondern ein armer“, hält ihr Anwalt der Richterin entgegen. Und: „Hier wird ein soziales Problem mit dem untauglichen Mittel des Strafrechts begegnet.“ Amtsrichterin Susanne Vesting ist prinzipiell seiner Meinung: „Glücklich bin ich damit auch nicht.“ Sie erinnert allerdings daran, dass die Straßenprostitution an diesem Ort eben nicht erlaubt ist und Claudia S. das Verbot trotz mehrfacher Platzverweise und Bußgeldbescheide missachtet hat. Wegen drei Verstößen in den Jahren 2005 und 2006 steht sie jetzt vor Gericht, weil die Polizei sie dabei erwischte, wie sie einem Freier ihre Dienste anbot, beziehungsweise schon bei diesem im Auto saß. Sie selbst kann sich, sagt ihr Anwalt, nicht daran erinnern, weil sie an partiellen Gedächtnisverlusten leidet, hervorgerufen durch den Drogenmissbrauch. Ein ärztliches Attest bescheinigt dieses.

Keine Ausrede hat hingegen einer der Männer, mit denen die Polizei sie aufgriff, und der als Zeuge vernommen wurde. „Ich bin da so reingerutscht“, stottert der 47-Jährige, sichtlich peinlich berührt von den Nachfragen durch Richterin und Staatsanwältin. „Ich habe sie kennen gelernt und dann wollten wir da was machen“, redet er sich um den heißen Brei herum, „das war ein kurzer Flirt.“ Laut Polizeibericht wollte der Glaser aus Vegesack eigentlich einen Swingerklub besuchen, fand keinen Parkplatz und nahm schließlich das Angebot von Claudia S. zu Oralsex an. Doch dazu kam es nicht: „Wir wurden überrascht und dann war Feierabend.“ Regelmäßig, so berichten drei als Zeugen geladene Polizisten, würden die Ordnungshüter durch die Humboldtstraße Streife fahren und die Frauen auch verfolgen, wenn sie sie zuvor an einem Fahrzeug gesehen haben. „Die verabreden sich dann per Handy an anderer Stelle“, erklärt ein Polizist.

Für die Frauen sei der Standort trotz der Polizeistreifen und der relativ bürgerlichen Gegend günstig, weil sie um die Ecke die Drogen bekommen können, für die sie sich prostituiert haben, vermutet Monika Heitmann von der Bremer Hurenberatungsstelle Nitribitt. Sie hätte allerdings zu den Frauen keinen Kontakt, da diese ganz andere Probleme hätten als professionelle Prostituierte. „Dazu müssten wir uns in eine Drogenberatungsstelle verwandeln.“

Doch auch die Drogenberatungsstellen haben aus finanziellen Gründen schon lange kein besonderes Augenmerk mehr für die Frauen an der Humboldtstraße. Früher habe es einmal aufsuchende Arbeit gegeben sowie die Möglichkeit, sich nachts etwas zu essen sowie Kondome und Spritzen zu besorgen, erinnert sich Cornelia Barth von akzept, dem Bremer Landesverband für akzeptierende Drogenpolitik. Sie habe zwar auch darüber nachgedacht, ob es nicht gut wäre, auf die Frauen auf der Straße zuzugehen, sagt Barth, sei sich aber nicht sicher, ob die sich davon nicht gestört fühlen würden. Sie gibt zu bedenken, dass mittlerweile relativ wenige Frauen unterwegs seien. Dieser Einschätzung widerspricht allerdings das örtliche Polizeirevier, das keine Verringerung feststellen konnte.

Claudia S. wird vermutlich wieder in der Humboldtstraße auftauchen. Zwar wird sie seit Dezember 2005 substituiert, doch das hat sie nicht davon abgehalten, sich weiter zu prostituieren. Am 17. Februar wurde zum letzten Mal ein Platzverweis gegen sie ausgesprochen. Sie sagt zwar, dass sie vielleicht einen Schulabschluss nachholen wolle, eine Therapie aber will sie auf keinen Fall machen. „Ich lege Ihnen das sehr ans Herz, ich befürchte, dass Sie es alleine nicht schaffen“, sagt die Richterin noch. Claudia F.s Anwalt hofft, dass seine Mandantin ihre Strafe abarbeiten kann. „Vielleicht wird sie dadurch irgendwo eingebunden.“