Patt in Erfurt

THÜRINGEN Schwarz-Rot oder Rot-Rot-Grün – am Wahlabend scheint in Erfurt alles möglich. Komfortable Mehrheiten nicht in Sicht

AUS ERFURT MICHAEL BARTSCH
UND STEFAN REINECKE

Um 18 Uhr warten die Genossen der Linken im Palmenhaus in der Erfurter Innenstadt auf die Hochrechnungen. Eigentlich kann ja nichts schiefgegangen sein. Es war ein perfekter Wahlkampf, ganz auf den Spitzenkandidaten Bodo Ramelow zugeschnitten. Keine Panne, keine Stasi-Enthüllung, kein Flügelstreit. Ramelow ist fast allen Angriffen, auch den persönlichen, kühl ausgewichen. Fast schon landesväterlich souverän.

Um 18 Uhr wird es still, dann Jubel. Die Linkspartei hat das Ergebnis von 2009 von gut 27 Prozent sogar noch leicht übertroffen. Die bunten Balken der Wahlgrafiken schieben sich nach oben: Der der CDU stoppt bei 34, der der SPD nur bei etwa 13, der der Grünen bei über 5 Prozent. Die Genossen buhen, als der blaue Balken der AfD deutlich die Fünfprozentmarke überspringt und bei um die 10 Prozent stehen bleibt.

Aber es gibt jetzt Wichtigeres, als sich über Rechtspopulisten im Parlament zu ärgern. Wichtigeres als die Frage, wie viel Prozente am Ende hinter dem Komma stehen. Reicht es, um zu regieren nach 25 Jahren Opposition, nach 25 Jahren CDU? Mit der zerfransten SPD und den Grünen als Juniorpartner? Es wäre ein in der bundesdeutschen Parteiengeschichte historisches Ereignis, vergleichbar Winfried Kretschmanns Sieg in Baden-Württemberg im Jahr 2011. Wäre.

Um 18.23 Uhr bahnt sich Bodo Ramelow den Weg zum Mikrofon. „Es ist ein guter Abend, wir haben die Wahl gewonnen“, ruft er. Jetzt müsse man abwarten, ob es für den Wechsel reicht.

An diesem für die Linke so wichtigen Abend ist auch die Parteichefin nach Erfurt gekommen. Katja Kipping sagt der taz, wenn es diesmal wieder nicht reiche für einen linken Ministerpräsidenten, „hat es nicht an uns gelegen“.

Bei der SPD herrscht nach dem „Desaster“, wie es der Bundestagsabgeordnete Carsten Schneider nennt, Ratlosigkeit. Schneider erklärt das Dilemma der SPD: Eine klare Koalitionsaussage zugunsten der CDU oder der Linken hätte ebenso Stimmen gekostet wie das Offenhalten dieser Frage.

Aus Berlin meldet sich Parteichef Sigmar Gabriel zu Wort. Er sieht die Verantwortung für das schlechte Ergebnis beim Landesverband: „Das ist eine herbe Niederlage und es muss sicher einen Neuanfang geben.“ Gefragt nach Koalitionsmöglichkeiten, spricht Gabriel schon am Wahlabend von konstanten Regierungsbündnissen in Thüringen und Brandenburg. In Erfurt hieße das weiter Schwarz-Rot.

Dort sieht SPD-Oberbürgermeister Andreas Bausewein ein strategisches Dilemma der Ost-SPD. „Wir müssen überlegen, wie wir aus der Position herauskommen, zwischen Union und Linker zerrieben zu werden“, sagt er. Bausewein war von einzelnen Jusos mit „Andreas! Andreas!“-Rufen empfangen worden. Sie sehen in ihm einen Hoffnungsträger. Einige fordern gar den Rücktritt des Landesvorstandes, bevor eine Mitgliederbefragung über Koalitionsverhandlungen eingeleitet wird. Auch mit Neuwahlen könnten sich manche Genossen anfreunden. „Wir können nur gewinnen!“

Spitzenkandidatin Heike Taubert appelliert in ihrer Ansprache an eine geschlossene SPD. „Es dürfen keine Köpfe rollen, wir sollten uns nicht gegenseitig beschuldigen“, mahnt sie.

Richard Dewis, der ehemalige Innenminister und Rivale von Landesparteichef Christoph Matschie, bekräftigt unverändert seine Präferenz für Rot-Rot-Grün. „Mehrheit ist Mehrheit“, antwortete er auf die Frage nach knappen Mehrheitsverhältnissen. Anders als von der Parteispitze wahrgenommen, deutet sich auf der SPD-Wahlparty eine Mehrheit für ein Linksbündnis an. Viele sehen in der Niederlage die Quittung dafür, 2009 diese Chance zugunsten der CDU ausgeschlagen zu haben.

Eineinhalb Stunden nach Schließung der Wahllokale ist noch immer nichts klar. Bei der Linken scheint Susanne Hennig-Wellso entschlossen. „Wenn Rot-Rot-Grün am Ende eine Stimme Mehrheit hat, werden wir es versuchen“, sagt die Chefin der Thüringer Linkspartei. Die inhaltliche Übereinstimmung sei hier größer als zwischen SPD und CDU. Sie traut der SPD zu, auch bei ganz knapper Mehrheit den Politikwechsel zu wagen.