„Gestatten: Ich heiße Jürgen!“

Jetzt kann der Hirscheber wieder lachen: Aus vielen Zuschriften wählt die taz einen Namen für ihn aus. „Jürgen ist keine Rampensau“, so ein Leser

VON ULRICH SCHULTE

Der kleine Hirscheber ist in die Herzen unserer LeserInnen getrippelt. Zahlreiche E-Mails mit Namensvorschlägen für das possierliche Schweinchen gingen am Wochenende in der Redaktion ein. Das Schicksal des Paarhufers, der im Zoologischen Garten nur hundert Meter vom umjubelten Eisbären Knut entfernt ein unbeachtetes Dasein fristet, rührt eben an (taz berichtete). Dank Ihres Engagements, liebe LeserInnen, tritt das sympathische Tier endlich aus der Anonymität heraus: Gestatten, der Hirscheber heißt Jürgen!

Schwere Entscheidung

Die Entscheidung ist der taz-Jury nicht leicht gefallen. Selten wurde in der Konferenz so viel gekichert wie gestern, selten so hart um ein Votum gerungen. Überzeugt hat letztlich die Begründung: Jürgen drücke wie kaum ein anderer Name „Gelassenheit und Ruhe“ aus, schreibt taz-Leser Kirill Jermak, der Sieger des Namenswettbewerbs. „Ein ‚Jürgen‘ braucht keine Aufmerksamkeit. Er ist keine Rampensau, sondern einfach Jürgen, der Hirscheber.“

Wie wahr. Obwohl das Schwein einer stark bedrohten Art angehört, lässt es sich nicht von Aussterbensängsten niederdrücken – sondern suhlt sich wonnig im Matsch. Carpe diem, lautet Jürgens Losung. Den ignoranten Menschen, dem penetranten Knut zum Trotz.

Auch etymologisch ist Jürgen genau die richtige Wahl. Der Name ist die niederdeutsche Variante von Georg, was sich wiederum von dem griechischen Wort für Bauer ableitet. Und wer, wenn nicht Jürgen, der Hirscheber, wühlt auch in der Erde? Die Redaktion gratuliert beiden herzlich: Jürgen zu seinem Namen, Leser Kirill Jermak zu seinem Sieg. Die Prämie, eine Tüte leckerer taz-Brownies, geht noch heute raus.

Doch auch andere Ideen konnten sich durchaus sehen lassen: Der Hirscheber müsse Eberhard heißen, schreibt uns zum Beispiel Petra Söllner. „Wie sonst?!“ Sie war nicht die Einzige, die für den süßen Hirscheber den Vornamen des früheren Regierenden Bürgermeisters passend fand. „Hirscheberhard“ oder „Hirschebbe“ dichtet Ursula Brandt; die Verniedlichung „Ebi“ schlägt Gabriele Römhild vor. Und begründet: „Bei der Namensähnlichkeit könnte man Eberhard Diepgen als Paten für den Hirscheber gewinnen.“ Daran sei praktisch, dass der CDU-Promi sicher Spenden und Extraleckerbissen für sein Patentier springen lasse. Ebi würde bald „durchs Gehege flitzen und Purzelbäume schlagen“ – zur Freude der Zoobesucher.

Zugegeben: Letzteres wollen wir alle, auch die Mitglieder der taz-Jury. Auch das Wortspiel klingt auf Anhieb nicht schlecht. Dennoch schaffen es sämtliche Eberhard-Varianten nur auf Platz zwei des Hirscheber-Namenswettbewerbs. Denn, mal ehrlich, liebe Frau Söllner: Möchten Sie heißen wie der Mann, der durch den Bankenskandal sein Amt verlor und als alles Mögliche galt, nur nicht als metropolentauglich? Das hat unser Hirscheber nicht verdient.

Man muss ihn lieb haben

Julia Große-Heitmeyer lässt sich bei der Namenssuche von einem duftenden Gebäck inspirieren. Ihr Vorschlag, wahrscheinlich beim Frühstück ausgedacht, lautet „Hörnchen“ – „natürlich wegen der Hörner und der Figur des Hirschebers, die dem Namen doch schon fast entspricht.“ Auch ihr letztes Argument leuchtet jedem ein, der dem Hirscheber in die kleinen Äuglein schaut: Man müsse ihn einfach lieb haben, schreibt Große-Heitmeyer. Deshalb sei ein „wunderschöner Kosename“ angebracht. Wobei sich der Hirscheber in freier Natur, also im indonesischen Regenwald, nicht von Hörnchen, sondern vor allem von Laub und Früchten ernährt.

Und wo wir gerade bei wissenswerten Hirscheber-Details sind: Bei diesen Schweinen sind die Männer das schöne Geschlecht. Nur sie verfügen nämlich über die entzückenden, gebogenen Hauer – wie Jürgen auf unserem Foto. Der Namensvorschlag „Howie“ (gesprochen: Haui) von Sascha Maier hat deshalb Charme. Seine Argumentation gründet er auf die amerikanische Fernsehserie „Ein Colt für alle Fälle“, die in den 80er-Jahren einige Beachtung fand: „Howie Munson [war] immer die sympathische Nummer 2 hinter Colt Seavers, genauso wie der Hirscheber eben die Nummer 2 hinter Knut ist.“

Das Niedlichkeitsbusiness

Die Idee von taz-Leserin Henrike Rieken spielt hingegen auf einen US-amerikanischen Schauspieler an. „Mr T“ mimt mit Vorliebe muskelbepackte Haudraufs, etwa in „Rocky III – Das Auge des Tigers“ oder in der Fernsehserie „A-Team“. Die Ähnlichkeit zum Hirscheber sei erstaunlich, schreibt sie. „Ich denke, dass Mr T ebenso mit den Schattenseiten des Showbiz zu kämpfen hat wie der Hirscheber mit denen des Niedlichkeitsbusiness unter Zootieren – beide sind Opfer des Schönheitswahns.“ Das stimmt. Dennoch überzeugte Mr T die Jury nicht. Jürgen ist schließlich Pazifist. Nicht im Traum käme er darauf, seine Hauer zu etwas anderem zu gebrauchen, als einen Konkurrenten in die Schranken zu weisen. Und da geht es um Liebe, nicht um Krieg.

Zwei weitere taz-Leserinnen suchen sich Vorlagen aus der Literatur für das Schweinchen. Ute Zörb-Langen denkt an die Bibel, genauer: das Buch Jona. Sie schlägt den Namen des Mannes vor, der im Meer von einem Wal verschluckt und nach innigem Gebet wieder ausgespuckt wurde. „Der Hirscheber könnte die Welt retten. Hat der Wal bei Jona nicht auch Lebensrettung gebracht, und sieht unser guter Hirscheber nicht ein wenig wie ein Landwal aus?“, fragt sie. Lena Schützler dagegen will den Hirscheber „Hans-Christian“ nennen, nach dem dänischen Schriftsteller Hans-Christian Andersen, der im 19. Jahrhundert lebte und unter anderem das Märchen vom hässlichen Entlein verfasste. Allein, der Vergleich passt nicht ganz: Das Entlein wächst sich zum wunderschönen Schwan aus. Hirscheber Jürgen bleibt, wie er ist. Zum Glück.