Job los – und dann obdachlos

Nirgendwo sonst werden so viele ALG II-Empfänger zum Umzug aufgefordert wie in Hamburg. GAL will die Mietobergrenze am Mietenspiegel bemessen. Diakonie schlägt „Angebotsspiegel“ vor

Die GAL-Fraktion weist darauf hin, dass die Arge mit den zahlreichen Umzugsaufforderungen eine „soziale Entmischung“ betreibe: Auffällig sei, dass die Aufforderungen vor allem in angesagteren Stadtteilen in den Bezirken Altona, Eimsbüttel und Mitte erfolgten. Dort aber seien die Mieten so stark angestiegen, dass es für alteingesessene Bewohner unmöglich sei, eine billige Wohnung zu finden. Dabei rechtfertige der Senat die knappen Mietobergrenzen mit einem Trick: Bei der Berechnung, so die GAL, lege er eine zu geringe Quadratmeterzahl pro Wohnung zugrunde. EE

VON ELKE SPANNER

Hamburg hält einen traurigen Rekord: In keiner anderen deutschen Großstadt sind die Mietkosten für ALG II-Empfänger so niedrig angesetzt wie in der Hansestadt. 318 Euro inklusive der Betriebskosten darf beispielsweise die Wohnung eines allein Lebenden maximal kosten – in Frankfurt am Main sind es über 400 Euro. An der realen Situation auf dem Wohnungsmarkt gehe diese Obergrenze vorbei, kritisierte gestern die GAL-Fraktion. Sie fordert in einem Antrag an die Bürgerschaft, die Mietobergrenzen für ALG II-EmpfängerInnen auf das Niveau des Mietenspiegels anzuheben.

Denn der eine Rekord bringt einen weiteren mit sich: Nirgends sonst werden so viele Menschen von der Arge aufgefordert, in eine billigere Wohnung umzuziehen. 6.700 ALG II-Empfänger haben ein solches Schreiben in Hamburg im vergangenen Jahr bekommen – in Frankfurt/Main waren es gerade einmal 300. Durch diese Aufforderungen werde „unendlich viel Druck“ auf die Betroffenen ausgeübt, sagte gestern Martina Gregersen, sozialpolitische Sprecherin der GAL-Fraktion.

Ihnen blieben nur zwei Möglichkeiten: Entweder, sie zahlten die Differenz zwischen der erlaubten und ihrer tatsächlichen Miete aus ihrem Regelsatz zum Lebensunterhalt – was zu Überschuldung und weiterem sozialen Abstieg führe. Oder aber sie zögen in einen der wenigen Stadtteile um, in denen es überhaupt noch so billige Wohnungen gibt – das ist nach Erkenntnissen der GAL vor allem südlich der Elbe der Fall. Neben der Zumutung für die Familien, deren Kinder manchmal für wenige Euro Ersparnis die Schule wechseln müssten, sei auch eine solche „Ghettoisierung“ von Arbeitslosen sozialpolitisch problematisch.

Während die Arge durch einen Umzug der Empfänger Miete spart, kommen auf die Betroffen selbst dadurch erhebliche finanzielle Belastungen zu. Ein Umzug kostet: Kaution, Ummeldegebühren, Möbeltransport. Meistens fällt wegen der Kündigungsfristen sogar eine doppelte Monatsmiete an. Das alles sind Kosten, die die Arge nicht ohne Weiteres übernimmt.

Marc Meyer, Jurist im Mieterverein „Mieter helfen Mietern“, betreut zwei Fälle, in denen es den ALG II-Empfängern gelungen ist, eine günstigere Wohnung aufzutreiben – jetzt streiten sie sich mit der Arge vor Gericht darüber, wer die Kosten des erzwungenen Umzuges zu tragen hat.

Josef Laupheimer von der Caritas Hamburg weiß von Fällen zu berichten, in denen die Politik der Arge Menschen in die Obdachlosigkeit getrieben hat. Ein älterer Mann hatte bereits zwanzig Jahre in seiner Wohnung gelebt, als die Arge befand, dass sie um 47 Euro zu teuer sei. Den beständigen Druck hielt er irgendwann nicht mehr aus: Er kündigte seine Wohnung, ohne eine neue gefunden zu haben. Zunächst zog er in eine Kleingartenparzelle. Da das nicht erlaubt ist, lebt er nun auf der Straße.

Laupheimer berichtet auch von einer Frau Mitte vierzig, die jahrelang auf der Straße gelebt und nach vielen Mühen eine kleine Wohnung gefunden hatte. Die aber kostete nach Ansicht der Arge 50 Euro zu viel – mit der Konsequenz, dass die Frau nach wie vor obdachlos ist.

„Der Maßstab der Mietübernahme müsste die Realität auf dem Wohnungsmarkt sein und nicht das Wunschdenken des Senates“, sagt die GAL-Abgeordnete Gregersen. Angemessen ist laut ihrem Fraktionskollegen Claudius Lieven etwa 384 Euro Miete für eine einzelne Person.

Das Diakonische Werk schlägt einen „Angebotsspiegel“ vor: Die Mietobergrenze sollte so festgelegt werden, dass für Arbeitslose ein Segment von 20 Prozent des Wohnungsmarktes tatsächlich zugänglich sei.