Bumm-bumm-Baroni

TENNIS Was für ein Comeback! 16 Jahre nach ihrem letzten Turniersieg gewinnt Mirjana Lucic-Baroni in Quebec. Zwischen diesen Erfolgen des Sandplatzsternchens liegt eine Zeit der Entbehrungen und bitterer Bekenntnisse

VON JÖRG ALLMEROTH

Wenn man irgendwann auf dieses Tennisjahr 2014 zurückblicken wird, worüber wird man dann sprechen? Über die Dominanz von Powerfrau Serena Williams, die als Grand-Slam-Rekordjägerin im zarten Alter von 33 Jahren noch immer ihre kraftvollen Punches setzt? Über Maria Scharapowa, die zum zweiten Mal im Sand von Paris triumphierte, obwohl sie einmal behauptet hatte, dort „wie eine Kuh auf dem Eis“ zu tanzen?

Wie wär’s mit dieser Geschichte, geschrieben von einer 32-Jährigen, die selbst einmal als Wunderkind gehandelt wurde. Man sollte vorsichtig sein mit Superlativen im Profisport, doch was sich am Sonntagabend auf dem Centre Court von Quebec ereignete, der Turniererfolg von Mirjana Lucic-Baroni gegen Venus Williams, das könnte als ein Comeback aller Comebacks im Frauentennis gelten. Es war ein Coup, der aus den Albträumen einer verkorksten Karriere geboren wurde. „Mir fehlen die Worte. Ich kann nicht beschreiben, wie glücklich ich jetzt bin“, sagte die Kroatin nach dem 6:4, 6:3.

Dass sie nun mit einer Bestleistung in den Tennis-Geschichtsbüchern verewigt war, 16 Jahre Abstand zwischen zwei Turniererfolgen, legte nur die ganze traurige Dramatik ihres Lebens offen. Es ist eine Story aus dem Schattenreich des Tennis, allerdings mit besonders düsteren Kapiteln. Schon mit 14 wird Lucic-Baroni US-Open-Champion bei den Juniorinnen, sie gilt als „next big thing“ der Szene und wird umschwärmt von Sponsoren und Marketingfirmen. Mit 15 Jahren gelingt ihr ein bis heute unerreichter Rekord: Sowohl beim ersten Turnierstart im Einzel (Bol/Kroatien) als auch im Doppel (Australian Open/mit Martina Hingis) gelingt ihr der Sieg. „Ich hatte das Gefühl, dass mir die ganze Tenniswelt zu Füßen liegt.“

„Es war die Hölle“

Doch bald schon liegt ihr ganzes Leben in Trümmern. 1998 flieht sie mit ihrer Mutter und vier Geschwistern nach Amerika, sucht Schutz vor dem gewalttätigen Vater, einem ehemaligen olympischen Zehnkämpfer. Von jahrelangem „unvorstellbaren Terror“ berichtet sie 2003 in einem Interview: „Es war die Hölle. Ich habe so viele Schläge bekommen, wie man sich kaum vorstellen kann.“ Einmal, erinnert sich Lucic-Baroni, sei sie von ihrem Vater 40 Minuten lang in einer Badewanne mit Schuhen verprügelt worden und „grün und blau am ganzen Körper“ gewesen. Der Zeitung USA Today schilderte sie, sie habe sich zuweilen eine Woche lang nicht die Haare bürsten können, „weil mir der Kopf von den Schlägen so wehtat“. Als sie das einer schockierten Öffentlichkeit im Jahre 2003 mitteilt, hat sie mit dem Tennis schon aufgehört, auch wegen eines erbitterten Streits mit einem früheren Manager des Unternehmens IMG, den sie beschuldigt, sie in den finanziellen Ruin getrieben zu haben.

Vier Jahre später, 2007, kehrte sie zurück ins Tennisgeschäft, doch der Neueinstieg verlief schleppend. „Es gab genügend Gelegenheiten, genügend Frust und Enttäuschungen, um wieder aufzuhören“, sagt sie, „doch ich hatte noch ein paar Rechnungen offen.“ Ihre Bühne sind die kleinen Turniere der zweiten oder dritten Liga. Selbst als das quälend langsame Punktesammeln 2010 wieder den Einzug unter die Top 100 bringt, nimmt kaum jemand Notiz davon.

Noch einmal vier lange Jahre dauert es, bis Lucic-Baroni die Schlagzeilen erobert: Bei den US Open 2014 spielt sie sich durch drei harte Qualifikationsrunden, ehe sie mit einem Triumph über die Weltranglisten-Zweite Simona Halep die Tenniswelt aus den Angeln hebt. 16 Jahre nachdem sie als 16-Jährige auf dem Weg zum Gipfel schien, ist sie als Achtelfinalistin zurück. „Für mich ist sie schon jetzt die Spielerin des Jahres“, sagte die ehemalige Nummer eins, Tracy Austin, in New York.

„Das Großartige ist: Endlich kann ich mich wirklich und richtig freuen nach einem Sieg“, sagte Mirjana Lucic-Baroni am Sonntag.