Die Parade abnehmen

In Plakatgröße schmücken die Zeichnungen von Marc Brandenburg jetzt den U-Bahnhof am Alex

VON KITO NEDO

Aus der Bäckerbude auf dem Bahnsteig riecht es nach frischen Croissants. Der süßliche Geruch wird nur schwächer, wenn die im Zweiminutentakt einfahrenden Züge der Linie U 2 verbrauchte Luft aus den Schächten in den Bahnhof drücken. Diese Mischung, dazu die Ansagen, das Türenknallen, das Hin und Her der Menschen verleihen dem Ort nicht gerade kontemplativen musealen Charme. Länger als nötig verweilt hier niemand. Und doch ist hier bis Ende Juni eine große Kunstausstellung zu sehen. Auf Einladung der Kreuzberger NGBK zeigt der Berliner Künstler Marc Brandenburg an den Tunnelwänden rechts und links des Bahnsteigs insgesamt 32 großformatige Reproduktionen seiner Zeichnungen.

Seit Anfang der Neunziger arbeitet der 1965 in Berlin geborene Sohn eines US-Amerikaners und einer Deutschen mit Bleistift auf Papier – vorzugsweise „in den Härtegraden HB, 5B und 2H“, wie er knapp erklärt. Mit den Jahren sind fotorealistische, relativ kleinformatige und in ihrer Schwarz-Weiß-Umkehrung an Fotonegative oder Röntgenbilder erinnernde Zeichnungen zu seinem Markenzeichen geworden. Eingebettet in eine fast metallische Schraffur sind darauf merkwürdige Straßenszenen wie etwa ein lebensgroßer Hot-Dog-Werbe-Aufsteller oder eine Rummelbude ebenso verewigt wie die kristalline Struktur einer Weihnachtsbaumkugel oder Ronald McDonald. Eine schlüssige Erzählung will sich daraus nicht ergeben. Was bleibt, ist ein formal faszinierendes Kaleidoskop der urbanen Wirrnis.

Als Vorlagen für seine Zeichnungen dienen Brandenburg größtenteils eigene Fotografien, manchmal auch Material aus Magazinen und Zeitungen. Diese Bilder „dreht“ er am Kopierer in ihr Negativ, bevor er sie zeichnet. Anschließend lässt der Künstler die Bilder durch verschiedene Medien weiterwandern: Sie tauchen als transparente Aufkleber in der Kreuzberger Szenebar „Möbel Olfe“ ebenso auf wie auf den Schaufenstern der noblen Galerie Crone auf der Kochstraße, sie zieren Flyer des Techno-Clubs „Berghain“ oder Plattencover des Berliner „Ostgut“-Labels.

Die neueste Metamorphose des Brandenburg’schen Bilduniversums findet nun hier am Alex statt, auf den großformatigen Plakaten in der U-Bahn-Station. Das zeitigt schöne, gespenstische Effekte, man betrachte nur die bleiche Michael-Jackson-Figur, die, nachdem sie Mitte der Neunziger schon einmal als überlebensgroße Statue auf dem Dach des Saturn-Gebäudes den Alex dominierte, nun im Untergrund erneut die Parade abnimmt: HIStory repeating?!

Wohl kaum. Denn mit Kommerz hat das unterirdische Déjà-vu nichts zu tun: „Kunst statt Werbung“ lautet das Motto der NGBK-Arbeitsgruppe „U2 Alexanderplatz“, die seit rund fünfzehn Jahren die künstlerische Bespielung der sogenannten Hintergleiswerbeflächen organisiert – im letzten Jahr etwa mit den Interventionen von Ayse Erkmen, Christine Hill und Thomas Hirschhorn.

Vis-à-vis von Jackson, dort, wo die Züge Richtung Ruhleben abfahren, hat Brandenburg Bilder einer Demo montiert, die in der Mitte des Bahnhofs zusammenzulaufen scheint. Zwar sind die Abbildungen verschwommen, aber die Zeichen linker Demo-Couture sind dennoch deutlich zu erkennen: Kapuzenpullis, Bundeswehr-Rucksäcke, Palästinensertücher, Antifa-Aufnäher – die Vorlage waren Fotos, die Brandenburg einst beim 1. Mai machte. Während der Künstler noch die Entstehung der Bilder erklärt, taucht eine Gruppe Irokesenpunks auf dem Bahnsteig auf. Sofort zückt der Bildersammler eine Kompaktkamera und fotografiert die Mohawks, die unwissentlich vor den Sujets posieren, denen sie gut entsprungen sein könnten.

An anderer Stelle zerfließen die Zeichnungen zu langen, impressionistischen Schlieren. Auch wenn gerade keine U-Bahn einfährt: Die Bewegung ist da und erzeugt eine Art Nachbild im Kopf der hastig vorbeieilenden Großstadtbewohner. Brandenburg gefällt dieser Ausstellungsort sehr, er kommt seiner Kunst entgegen. Manchmal verwandelt er sowieso schon ganze Galerien in U-Bahn-Schächte, indem er die Räume komplett schwarz streichen lässt, um dann seine Blätter unter Schwarzlichtstrahlern fluoreszieren zu lassen. „Das Tolle an den Schwarzlichträumen ist, dass die Kunst im Mittelpunkt steht“, erklärt er diese Display-Philosophie. Die Idee dazu sei ihm einmal in der Schwulenbar Kumpelnest gekommen, als er da saß mit einem frisch gekauften Stapel Papier unter dem Arm.

Dort, einem der Kristallisationspunkte der Westberliner Achtziger-Jahre-Boheme, arbeitete Brandenburg eine Zeit lang hinter der Theke, wie er auch als sehr junger Mensch als Einlasser an der Tür der Clublegende „Dschungel“ stand. Doch über die alten Punkzeiten, als ihn die Szene noch als Mode-Avantgardisten und Kollaborateur in verschiedensten musikalischen Zusammenhängen schätzte, möchte Brandenburg im Moment eher weniger reden. Auch auf die Frage, ob er seinen herrlichen Namen selbst erfunden oder einer schönen Fügung des Schicksals zu verdanken habe, ist seine Antwort freundlich, aber kurz: „Ich kann mich nicht mehr erinnern.“ Viel lieber lädt er noch auf eine Traubensaftschorle ins Olfe ein, um über seine nächste Ausstellung zu sprechen, die in ein paar Tagen in Salzburg eröffnen wird.

Marc Brandenburg: Underground. U 2 Alexanderplatz, bis 30. Juni