■ Wo das Grünflächenamt zuschlägt, sucht man Beinahebiotope vergeblich
: Finger weg vom Unterholz

betr.: „Grünflächenpflege. Dreck ist nicht links“, Kommentar von Richard Rother, „Der Müll ist dem Park sein Tod“, „Im Tiergarten liegt heute Aldi-Rasen“, taz vom 7. 4. 07

Noch vor wenigen Jahren war das hintere Kreuzberg rund um den Görlitzer Park ein Idyll: dichte Büsche und Hecken, Unterholz und Gestrüpp, ein Erfahrungsraum nicht nur für spielende Kinder, sondern auch Lebensraum für in der Stadt selten gewordene Tiere wie Fledermaus, Nachtigall, Zaunkönig, Eichhörnchen, Marder und Wildkaninchen. Heute suchen wir diese Beinahebiotope vergeblich, denn in den letzten Jahren hat das Grünflächenamt sehr erfolgreich zugeschlagen: Hecken wurden ausgedünnt, Büsche regelmäßig bis auf die Stümpfe abgeschnitten oder ganz herausgerissen, Knöterichdickichte entfernt. Systematisch verschwand sämtliches Unterholz. Das Amt und seine Sub-Unternehmer/innen machten noch nicht einmal vor dem zu Zeiten der letzten rot-grünen Bezirksregierung als Biotop geplanten Gelände am Görlitzer Ufer Halt: Die Uferbepflanzung (Schilf und Lilien) wurde vernichtet und die Boden deckenden Pflanzen sowie sämtliche Büsche entfernt. Als Ergebnis dieser Aktivitäten rutschen die Hänge ab und es müssen aufwändige Befestigungen angelegt werden.

Solche Verwüstungen wie um den Görlitzer Park sind in ganz Berlin zu beobachten. Es scheint, als würde sich das letzte „Aufbäumen der Moderne“ (Zygmunt Baumann) ausgerechnet unser Stadtgrün als Objekt aussuchen. Flächendeckend wird alles entfernt, was ungeordnet, undurchsichtig erscheint. Beispiele gibt es viele – betroffen sind Mariannenplatz, Oranienplatz, sämtliche Ufergelände am Landwehrkanal usw.

Doch ein intakter Lebensraum für Pflanzen und Tiere ist immer ein funktionierender Erholungsraum für Menschen. Dickichte sind Lärm- und Luftfilter. Sie regen die Fantasie an und ermöglichen einen Erfahrungsraum der Vielfalt und Sinnlichkeit – das ist besonders für Kinder wichtig. So sollte es möglich sein, neben nutzbaren Spiel- und Grillflächen (die müssen in ausreichender Größe vorhanden sein!) Kindern auch zukünftig noch die Begegnung mit Hase und Igel außerhalb des Fernsehers zu ermöglichen. Das muss nicht viel Geld kosten. Wir wissen von unseren Berliner Brachen, dass sich ein sich selbst überlassenes Gelände schnell regeneriert. Tiere und Pflanzen siedeln sich unter den erstaunlichsten Bedingungen an (Beispiel Gleisdreieck). Ecken und Nischen für solchen Wildwuchs bietet das hintere Kreuzberg genug. Also Finger weg vom Unterholz.

Bleibt zu hoffen, dass das Grünflächenamt bei der neuerlich geplanten Umgestaltung des Görlitzer Parks die letzte überlebende Kaninchenkolonie nicht wegrationalisiert.

Diese Perspektive habe ich in der Berichterstattung der taz vermisst, weiß aber, dass es viele in Kreuzberg gibt, die sich darum bemühen. Friedericke Ahlers, Berlin