schwabinger krawall: folgen einer entleerung von MICHAEL SAILER
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Vor der „Sportschau“ wollte sich Herr Reithofer eine Flasche Optimator aus dem Keller holen, als er ein ungewöhnliches Geräusch bemerkte und feststellte, dass im Parterre ein ihm unbekannter Mann dabei war, an den Türstock der Familie Kellermann zu urinieren. Was er da mache, hat Herr Reithofer da gefragt und hinzugefügt, das sei die größte Sauerei, die er je erlebt habe. Der Mann hat Herrn Reithofer ungenau angeschaut, den Entleerungsvorgang zu Ende gebracht und dann fulminant versucht, sich vom Tatort zu entfernen, wobei er gegen den Treppengeländerpfosten gerumpelt und zu Fall gekommen ist. Er werde jetzt die Polizei rufen, kündigte Herr Reithofer an. Ihm sei alles egal, lallte der Mann.

In diesem Moment ist Herr Kellermann hereingetorkelt, hat sich ausgiebig gesammelt und gefragt, was hier los sei. Herr Reithofer erläuterte ihm die Lage, begleitet von Stöhngeräuschen und wegwerfenden Handbewegungen des Fremden, der schließlich erklärte, es sei halt Starkbierzeit. Eine solche, brüllte Herr Reithofer – seinen Optimator hinter dem Rücken verbergend –, gebe es in Schwabing gar nicht, das sei Sache der Bierkeller in den Glasscherbenvierteln, und schon gar nicht saufe man sich am hellichten Tag einen Fetzenrausch an und brunze in fremde Treppenhäuser hinein.

Da irre er sich gewaltig, brauste Herr Kellermann auf. Er sei zwar durchaus in Giesing aufgewachsen, in Riechweite des „Salvatorkellers“, wohne aber schon jahrzehntelang in Schwabing und lasse sich ganz bestimmt auf gar keinen Fall von irgendwem verbieten, einen anständigen Triumphator zu trinken.

Der Feuilletonist Achenbach betrachtete die sonderbare Versammlung aus sicherer Treppenhöhe und fragte vorsichtig, um was es gehe. Um Hausfriedensbruch und eine eklatante Sachbeschädigung, brüllte Herr Reithofer, und Herr Kellermann, dem die Sache nun erst bewusst wurde, packte den Fremden, schüttelte ihn und stellte klar, er lasse sich keinesfalls die Wohnung vollseichen. Er habe, sagte der Fremde, sich nicht anders zu helfen gewusst, weil die fünf Maß Animator ganz plötzlich hinaus gemusst hätten. Dafür hat er sich von Herrn Kellermann eine gefangen, und als der Feuilletonist Achenbach erklären wollte, dass es sich hierbei im psychologischen Sinne nicht um Sachbeschädigung, sondern eine symbolische Inbesitznahme handle, ist Herrn Kellermann endgültig der Kragen geplatzt.

Der Versuch, sich den Feuilletonisten vorzuknöpfen, endete jedoch sehr schnell, weil ihn Herr Reithofer am Arm packte, wodurch er ins Straucheln geriet, über den Fremden stürzte, dabei Herrn Reithofer mit umriss, so dass sich alle drei in die Pfütze setzten. Ach herrje!, sagte der Feuilletonist und zog sich in seine Wohnung zurück.

Dass dann noch Herr Hammler dahergewankt ist und erklärte, er trinke, um nicht in derartige Lagen zu geraten, generell nur zwei Maß Maximator und empfehle den Herren dringend Mäßigung, war eine wenig glückliche Koinzidenz. Der genaue Hergang der vielfältigen Sachbeschädigungen und zum Glück nur leichten Körperverletzungen, die folgten, wird sich indes nicht ermitteln lassen, und so trennte man sich endlich erschöpft und ohne großen Groll.