Eine Zuflucht für Gewaltopfer in Kenia

Sexuelle und häusliche Gewalt werden in Afrika häufig nicht bestraft. Die Gesetze sind meistens unzureichend oder werden nicht angewandt. Ein Frauenkrankenhaus in Nairobi versucht die Lage zu ändern. Die Opfer werden kostenlos versorgt

„Wir trainieren momentan die Polizei, wie sie mit Opfern umgehen soll“

AUS NAIROBI ILONA EVELEENS

In dem großen Krankensaal sind die Vorhänge um die meisten Betten zugezogen. Nur nicht um das Bett am Fenster am Ende des Raumes. Dort liegt eine junge Frau. Kopf, Hals und Brust sind teils mit Verbänden umwickelt. Sie hat frische Hauttransplantationen hinter sich.

„Ich bat meinen Mann um Geld, um unser krankes Kind zum Arzt zu bringen. Er wurde wütend, übergoss mich mit Lampenöl und zündete mich an“, sagt sie mit leiser Stimme, in der noch die Verblüffung über den Vorfall mitschwingt. „Ich hatte nie erwartet, dass er so etwas tun würde. Er hat mal meine Kleider verbrannt, aber mich?“ Ihren Namen möchte die Verletzte nicht nennen.

Die Frau liegt im Frauenkrankenhaus von Nairobi, ganz in der Nähe des Zentrums der kenianischen Hauptstadt. Ob sie nach der Verheilung ihrer Wunden zu ihrem Mann in das kleine Haus im Armenviertel Kibera zurückkehren wird, weiß sie noch nicht. Sie gehört zu den Opfern von sexueller und häuslicher Gewalt, von denen täglich viele das Krankenhaus aufsuchen.

Es ist eine einzigartige Klinik, die über ein eigenes Zentrum für die Versorgung von Gewaltopfern verfügt. Frauen, aber auch Männer können sich hier kostenlos behandeln lassen. Sexuelle und häusliche Gewalt sind nicht nur in Kenia, sondern auch in ganz Afrika ein großes Problem. In den letzten drei Monaten des vergangenen Jahres registrierte das Krankenhaus 519 Fälle. Neunzig Prozent davon waren Opfer von sexueller Gewalt.

„Die Zahlen, die wir haben, sind nur aus einem Krankenhaus in einer Stadt. Viele Menschen haben Angst, sich behandeln zu lassen, weil derartige Gewalt einem Tabu unterliegt. Die nationalen Ziffern müssen um ein Vielfaches höher liegen“, sagt Lilian Kuria, die stellvertretende Oberschwester der Klinik. „Wir behandeln nicht nur Frauen, sondern auch Männer. Vor allem Jungen, die zum ersten Mal die Oberschule besuchen, werden von älteren Schülern im Rahmen von einer Art Aufnahmeritual vergewaltigt.“ Dreizehn Prozent der Vergewaltigten unter 18 Jahren sind männliche Jugendliche.

Vergewaltigung kommt in Kenia zwar seltener vor als in Südafrika, nimmt aber zu. Immer häufiger werden Frauen bei Raubüberfällen vergewaltigt, was früher nicht der Fall war. Das Frauenkrankenhaus in Nairobi besteht zwar erst seit fünf Jahren, hat aber schon einen guten Ruf. Um das Tabu des Schweigens zu durchbrechen, scheut das Krankenhaus auch Kontakte zu den Medien nicht. Im Januar waren Fernsehen, Radio und Zeitungen voll von Berichten über die Vergewaltigung eines fünf Monate alten Säuglings durch seinen Vater.

„Wir benutzen die Medien, um die Bevölkerung auf diese Art von Gewalt aufmerksam zu machen und so auch über das Krankenhaus zu informieren, damit die Opfer uns dann auch finden“, erklärt Kuria. „Aber unsere Kontakte mit den Medien unterliegen strengen Bedingungen: keine Namen, keine Fotos, und die Patienten entscheiden selbst, ob sie Fragen beantworten möchten.“

Das vergewaltigte Baby musste mehrfach operiert werden und wurde der Mutter mittlerweile weggenommen. Die Frau kämpft mit einem Alkoholproblem und hatte ihr Kind vernachlässigt. Die Polizei brachte das Baby zurück ins Krankenhaus. „Sexuelle und häusliche Gewalten sind eng verbunden mit Armut. Um ihr Elend zu vergessen, saufen sich die Menschen bewusstlos und wissen nicht mehr, was sie tun. Die Zahlen beweisen es. Mehr als 61 Prozent aller Vergewaltigungsopfer kommen aus den Armenvierteln von Nairobi“, erklärt die Assistentin der Oberschwester.

Im Zentrum zur Versorgung von Gewaltopfern im Krankenhaus arbeiten auch vier Sozialarbeiterinnen. „Sie hören sich die Geschichten der Opfern an, geben Rat und bringen sie, wenn nötig, in Kontakt mit anderen Organisationen“, berichtet Alberta Wambua, die stellvertretende Programmleiterin des Zentrums. „Wir leiten unsere Zahlen und Erfahrungen an die staatlichen Behörden weiter, weil so wenig über diese Art von Gewalt bekannt ist. Vor allem die weiblichen Mitglieder im Parlament sind an dem interessiert, was wir machen.“

Kenia hat wie die meisten afrikanischen Länder keine ausreichenden Gesetze, die Frauen vor sexueller und häuslicher Gewalt schützen. Auch werden die mangelhaften Gesetze, die existieren, häufig nicht angewandt, sodass die Täter oft ihrer Strafe entgehen. „Wir trainieren momentan die Polizei, wie sie mit Opfern umgehen soll. Früher wurden Frauen, die Klage wegen Vergewaltigung einreichten, ausgelacht und weggeschickt, aber heutzutage gibt es immer mehr Polizeidienststellen mit gesonderten Frauenabteilungen“, erläutert Alberta Wambua. Das Krankenhaus in Nairobi ist einer der wenigen auf dem ganzen Kontinent. „Es ist auch unser Traum, dass wir außerhalb von Nairobi und außerhalb Kenias mehr derartige Krankenhäuser aufbauen.“