Jenseits musealer Konventionen

AUSSTELLUNG „Gerhard WER?“ ist nicht nur eine interaktive Schau, sondern vermittelt vor allem eine ganz neue Sicht auf den Hausheiligen des Gerhard-Marcks-Hauses

Es gibt zwei Wege, mit einem ausgewählten Werk die Ausstellung „Gerhard WER?“ mitzugestalten.

■ Auf der Website www.marcks.de/suche.aspx kann man online den gesamten Bestand des Hauses einsehen und den ausgesuchten Favoriten dann – nebst Begründung – per E-Mail an meinmarcks@marcks.de senden. Interessierte BesucherInnen dürfen aber auch selbst in das Depot des Museums.

■ Die Ausstellung eröffnet am Sonntag und läuft bis 7. August.

VON JAN ZIER

Die Frage ist wahlweise ketzerisch – oder ehrlich: „Gerhard WER?“

Der Hausheilige des Gerhard Marcks Hauses ist einerseits sicher einer der bedeutendsten Bildhauer des vergangenen Jahrhunderts, anderseits aber vielen doch, zumal in Bremen, und wenn überhaupt: nur durch das Touristenhighlight „Stadtmusikanten“ irgendwie ein Begriff. In dem Museum, das seinen Namen trägt, sich stolz „Bildhauermuseum des Nordens“ nennt, bekam der Künstler zuletzt zu seinem 100. Geburtstag eine große Werkschau – und das ist wirklich lange her: 1989. Nun, genau 30 Jahre nach seinem Tod, gibt es, nein, keine traditionelle Werkschau. Sondern eine moderne, interaktive, beständig wechselnde Ausstellung, der trotzdem das Kunststück gelingt, nicht wie ein willkürliches Potpourri oder ein Best of-Album zu wirken. Kuratiert, wenn man das so nennen will, wird sie zumeist von Laien. Die ihre Auswahl aber zumindest in einem kurzen Satz öffentlich begründen müssen.

Diese Idee ist beileibe nicht neu, eröffnet aber mitunter eine ganz neu Sicht auf den Künstler. Beispielsweise, weil sie Werke von Marcks zeigt, die von kunstwissenschaftlich gebildeten Fachleuten sonst nie für Ausstellungen ausgesucht werden. „Christinchen auf dem Bauch liegend“, 1959 entstanden, eine etwa lebensgroße Babyfigur aus Bronze, galt hausintern als „scheußlich“, gibt Direktor Arie Hartog freimütig zu. Deswegen war sie auch noch nie hier zusehen. Doch jetzt steht sie völlig gleichberechtigt, an zentraler Stelle – rubriziert unter dem Stichwort „Natur“.

Vier Kategorien gibt die Ausstellung vor, sie sortieren das Lebenswerk, zumindest grob, und vermitteln den BesucherInnen zugleich eine doch sehr klare inhaltliche Linie. Unter dem Kapitel „Tradition und Fortschritt“ hat Hartog selbst den schmalen „Johannes“ von 1936 ausgewählt – wegen seiner subtilen Männlichkeitskritik am damaligen Zeitgeist der Kunst, der Männer immer breitschultriger und muskulöser werden ließ. In der Kategorie „Maass und Proportion“ steht neben Klassikern wie dem „Gefesselten Prometheus II“ der kleine, selten gezeigte „Totentanz“ von 1968. Und bei „Abstraktion“ findet sich der „Große Hahn“, von dem Marcks-Enkel Christian befand, er sei der einzige Macho, den sein Großvater je gestaltet habe. Schon guckt man sich die anderen Figuren nochmal ganz neu an.

Zur Eröffnung der Ausstellung wurden, unvermeidlich, allerlei der ortsüblichen Promis gebeten, einen Beitrag zu liefern, also: Werder-Trainer Thomas Schaaf oder die Alt-Bürgermeister Scherf und Koschnick. Im Lauf der Zeit wird sich das ändern, weil jetzt jeder Vorschläge liefern darf, die dann schrittweise umgesetzt werden. Der neue Direktor hat – eine subtile Kritik an seinem Vorgänger – ab 2009 die Sammlung neu aufarbeiten lassen. Daraus entstand eine Datenbank, in deren öffentlichem Teil jeder 400 Marcks-Skulpturen im Netz anklicken kann. Dazu kämen 12.000 Zeichnungen und 1.000 Druckgrafiken, die vorerst nicht online zu sehen sind.

Aber die Ausstellung eröffnet auch die Chance, einmal selbst in den Keller des Hauses zu gehen, ins Depot des Museums, das Allerheiligste quasi. Verwinkelte Gänge führen in einen kleinen, schlauchförmigen Raum mit niedriger Decke und stets hochsommerlichen Temperaturen. Der Ort, an dem alle Marcks-Skulpturen aufbewahrt werden. Ganz schnöde, in Holzregalen, schlicht der Größe nach sortiert.

Es gibt da viel zu entdecken. Ich habe mich für den „Hockenden Neger“ (1956) entschieden.