Abenteuerspielplatz

AUSSTELLUNG Die marokkanische Künstlerin Yto Barrada zeigt die assoziationsreiche Schau „Riffs“ in der Deutschen Guggenheim

Yto Barrada war immer frei zu reisen, sie kennt Marokko aus der Binnen- wie der Außenperspektive

VON BRIGITTE WERNEBURG

Der Ausstellungsraum der Deutschen Guggenheim ist doch erstaunlich wandlungsfähig. Mal ist er der zeit- und ortlose White Cube, in dessen entrückter Atmosphäre wenige, ausgesuchte Exponate ihren auratischen Auftritt haben. Dann ist er wieder, wie jetzt bei Yto Barrada, ein rechter Abenteuerspielplatz mit allerlei Emporen und Videohöhlen. Und es erscheint stimmig, dass man an einem Donnerstagvormittag auf eine Kindergruppe trifft, die sich am Ende des langen Schlauchs neben einer mit bunten Glühbirnen bestückten weißen Blechpalme auf dem Boden niedergelassen hat, um sich mithilfe unterschiedlicher Bild- und Spielmaterialien ihre ganz eigenen Gedanken zu „Riffs“ zu machen, wie die Ausstellung heißt.

Yto Barrada ist die „Künstlerin des Jahres“ 2011 der Deutschen Bank. Mit dieser Auszeichnung ist eine Einzelausstellung in der Deutschen Guggenheim Berlin verbunden, die danach an weitere internationale Standorte reist; dazu kommen ein Ankauf von Arbeiten auf Papier für die Kunstsammlung der Bank, ein Katalog und die Produktion einer Künstleredition. „Riffs“ ist die erste große institutionelle Einzelausstellung der Künstlerin in Deutschland. Yto Barrada wuchs in Tanger, Marokko, auf, wo sie auch heute lebt und arbeitet. Allerdings wurde sie 1971 in Frankreich geboren, weshalb sie in Paris an der Sorbonne Geschichtswissenschaften und Politologie studieren und in New York am International Center of Photography eine künstlerische Ausbildung anschließen konnte. Anders als die Mehrzahl ihrer Landsleute war sie immer frei zu reisen und kennt Marokko aus der Binnen- wie der Außenperspektive.

Yto Barrada beobachtet daher sehr genau, wie die Bewohner ihrer Heimatstadt von den europäischen und internationalen Entwicklungen im Bereich von Kultur und Kunst abgeschottet sind, wogegen sie mit der von ihr 2005 gegründeten Cinémathèque de Tanger interveniert. Besonders beobachtet sie aber die junge marokkanische Generation, die nach Freiheit, Arbeit und Wohlstand verlangt – doch alles, was sie bekommt, ist Tourismus. Eine weitere Version der Costa del Sol mit den bekannten ökonomischen und ökologischen Folgeschäden, von der herrschenden Klasse des Landes und internationalen Investoren finanziert. Dieses Szenario greift Yto Barrada in ihren Foto- und Videoinstallationen, Skulpturen und Interventionen auf. „Hier gibt es“, sagt sie zu ihrer Arbeit „A Life Full of Holes: The Strait Project“ 2005 und damit lange vor den jetzt aufgeflammten Protesten und politischen Umwälzungen in Nordafrika, „keine Flaneure und keine unbeteiligten Zuschauer.“

Und dabei zeigen die Aufnahmen des zwischen 1998 und 2006 entstandenen Fotoessays durchaus Figuren, die wir unwillkürlich als unbeteiligte Zuschauer identifizieren würden, wie etwa im Bild „Calamocarro Camp, Ceuta“ (1999/11), in dem es sich zwei unbeschwerte junge Männer in einem Baum bequem gemacht haben. Allerdings erkennen wir sie auch als Schwarzafrikaner, womit klar ist, dass wir es hier, in der spanischen Enklave, mit Protagonisten der afrikanischen Auswanderung zu tun haben, der sich Europa mit Schengen II (1990) und III (2005) massiv entgegenstellt. Yto Barradas Bilder, so könnte man sagen, argumentieren über Bande. Sie treffen den Sachverhalt, aber dabei visieren sie ihn nie direkt an. Sie lenken unseren Blick auf ein eher nebensächliches Detail, das sich dann als das entscheidende, verräterische entpuppt, das unseren Blick und unser Nachdenken auf das eigentliche Thema oder Problem stößt. „Bricks“ (2003/11) zum Beispiel zeigt die Landschaftsaufnahme einer im Entstehen begriffenen Vorstadtsiedlung. Dabei liegt die zentrale ästhetische Bildaussage bei eben einem Haufen roter Backsteine im Vordergrund. Doch kaum sticht einem das Ziegelrot in die Augen, verwandelt sich der Haufen zur zentralen politischen Metapher eines gesellschaftspolitischen Landschaftsporträts, das von kontextloser, nur von neuem Geld gespeister Bauwut spricht.

Im Rif-Gebirge

Der Backsteinhaufen könnte als eine Art oberirdisches Riff gesehen werden, auf das einen Yto Barrada auflaufen lässt. Doch mit Riff meint sie weniger die Felsenklippe unter Wasser als vielmehr die kurze, sich wiederholende Ton- oder Akkordfolge, die ein Musikstück neben dem eigentlichen Thema entscheidend prägt. In diesem Sinne könnten die wiederkehrenden Motive der Brachflächen, Schwertlilien und vor allem Bäume als die Riffs ihres Werkes gelten. Und dass Barrada ihre Bäume oft genug im Rif-Gebirge im Hinterland von Tanger findet, gehört natürlich auch zum assoziationsreichen Spiel des Titels. Dieses Spiel der Assoziationen setzt sich im komplexen Ausstellungsaufbau mit verschiedenen Medien, darunter skulpturalen Installationen, fort. Vielleicht hat man deshalb, wenn man die Ausstellung verlässt, insgeheim den Titel „Riffs“ gegen den ihres Dreikanalvideos „Playground“ (2010) ausgetauscht?

■ Bis 19. Juni, Deutsche Guggenheim, Unter den Linden 13/15, täglich 10 bis 20 Uhr, montags Eintritt frei; Katalog (Hatje Cantz) 35 Euro