Die private Schöpfung

So präzise wie humorvoll folgt die Doku „Jew by Choice“ Christen beim Übertritt zum Judentum (22.30 Uhr, Arte)

Warum eigentlich gilt eine Geschlechtsumwandlung als progressiv, das Konvertieren zum Judentum hingegen als konservativ? Immerhin beschließt jeweils eine Person, sich radikal neu zu erfinden und gesellschaftliche Werteordnung zu missachten. Auch ist beides legal. Wo also liegt der Unterschied?

Der von David Bernet und Robert Ralston gedrehte Dokumentarfilm „Jew By Choice“ widmet sich drei deutschen Christen, die zum Judentum konvertieren. Er zeigt ihre Ankunft in Israel und die einzelnen genau vorgeschriebenen Schritte, bis sie als Juden neu geboren sind. „Ich suche immer nach Menschen“, sagt der Deutsch-Schweizer Bernet, „die ein bestimmtes Lebens-Know-how anhäufen müssen, weil sie extreme Entscheidungen getroffen haben.“

Schon der Titel des Dokumentarfilms dürfte für viele eine Provokation sein. Darf man, zumal als Deutscher, entscheiden: So, und nun ist es gut mit meiner Einbindung in eine christliche Ordnung, jetzt werde ich Jude? Dieser leise, sorgsam gemachte und mit Humor gedrehte Film gibt keine Antwort darauf. Auch die Frage nach dem Warum bleibt offen. Immer wieder betonen die Protagonisten, dass lebenstechnische Weichenstellungen sich nun mal aus vielen Elementen zusammensetzen. Nur ein Bruchteil davon sei rationalisierbar. Wer könnte das bestreiten? Die Konversion ist damit vor allem eine Einzelentscheidung. Zum Politikum wird sie erst durch das Befremden der anderen, welche die Konvention verteidigen.

Die bereits 1975 konvertierte Richterin Yael Yenner erklärt süffisant, dass viele Übergetretene es mit den religiösen Vorschriften „lächerlich genau“ nähmen. Denn Vorschriften seien das Einzige, was nach diesem Schritt noch sicher schiene. Genau hier liegt ein Problem, das sich mit dem Hinweis auf die allgemeinen Ambivalenzen im Leben nicht auflösen lässt: Alle drei Konvertierenden haben für sich das Recht in Anspruch genommen, ihr Leben nach einer emotional motivierten Vorstellung von sich zu bilden und umzubilden.

Gleichzeitig verschreiben sie sich der Orthodoxie, welche jedwede Form von individueller Selbstermächtigung verbietet. Orthodoxie und Wahlfreiheit lassen sich nun mal nicht in Einklang bringen. Der Film bildet dieses Dilemma ab und formuliert damit unter der Hand ein Plädoyer für eine nicht konfessionsgebundene Lebensführung. Ein Plädoyer dafür, keine letzten Antworten zu haben.

Insofern es kein Zufall sein dürfte, dass am Ende Yael Yenner die Dokumentation mit dem Satz beschließt: „Eigentlich sind wir doch auch eine positive Erscheinung.“ „Eigentlich“ war schon immer ein alarmierendes Füllwort. INES KAPPERT