Keiner kennt Kurt

Nur jeder dritte Bundesbürger weiß, wie der SPD-Vorsitzende heißt. Ist das schlimm? Keineswegs. Für die politische Kultur ist die geringe Popularität des politischen Spitzenpersonals ein gutes Zeichen

VON RALPH BOLLMANN

Die Meldung schien nur allzu gut ins Bild vom Versager aus der Pfalz zu passen, der sich in kurzer Frist vom hehren Hoffnungsträger zum tumben Tölpel wandelt: Nur jeder dritte Bundesbürger weiß auf Anhieb, dass die deutsche Sozialdemokratie seit Jahresfrist von einem Mainzer Ministerpräsidenten namens Kurt Beck angeführt wird – von einem Mann mithin, den die Medien in diesen Tagen gern mit dem Etikett „glücklos“ versehen.

Großzügig übersehen wird dabei der Umstand, dass Kurt Beck mit diesem Bekanntheitsgrad zur einsamen Spitzengruppe des politischen Personals gehört, deutlich übertroffen allenfalls von Bundeskanzlerin Angela Merkel selbst. Als das Emnid-Institut zum ersten Jahrestag der schwarz-roten Regierungsbildung nach der Zuordnung der einzelnen Kabinettsressorts fragte, ergab sich für nahezu alle amtierenden Minister ein ähnlich trübes Bild.

Immerhin konnte noch knapp die Hälfte der Interviewten die Frage, wer denn das Gesundheitsministerium leite, korrekt mit „Ulla Schmidt“ beantworten. Danach ging es aber rapide bergab: Familienministerin Ursula von der Leyen kam auf 36 Prozent, Innenminister Wolfgang Schäuble auf 25 Prozent. Ihre Kabinettskollegen Heidemarie Wieczorek-Zeul und Brigitte Zypries mussten sich gar mit einstelligen Ergebnissen begnügen.

Was für ein Abgrund klafft zwischen diesen Werten und der Popularität, die das Führungspersonal der früheren rot-grünen Bundesregierung genoss! Nicht nur der damalige Kanzler Gerhard Schröder und sein Vize Joschka Fischer wussten sich stets im Gespräch zu halten. Auch Personen der zweiten Reihe wie Otto Schily oder Jürgen Trittin wirkten noch so prägnant, dass sich ihr Name dem Bundesbürger ins Gedächtnis brannte.

Nun schlägt wieder die Fraktion jener Kulturpessimisten Alarm, die auch bei jedem Rückgang der Wahlbeteiligung den Untergang der Demokratie ausruft, ohne sich je zu fragen, ob das Ignorieren eines zweitrangigen Urnengangs nicht auch ein Zeichen demokratischer Reife sein kann. Zugegeben: Für die Qualität politischer Prozesse kann der Partizipationsgrad durchaus ein Kriterium sein – anders als im weiten Feld von Wirtschaft, Wissenschaft oder Kultur, wo die Qualität eines Produkts keineswegs mit der Popularität seines Schöpfers korrelieren muss.

Aber diese Partizipation kann sich in bestimmten Situationen auch und gerade darin ausdrücken, auf ebendiese Partizipation bewusst zu verzichten. Dieser Schluss drängt sich beim Blick auf die aktuellen Umfragen geradezu auf: Während der Bekanntheitsgrad der Politiker sinkt, erreicht die Zufriedenheit mit der politischen und wirtschaftlichen Lage ungeahnte Spitzenwerte. Offenbar ist eine breite Mehrheit recht froh, dass Angela Merkel oder Kurt Beck auch regieren können, ohne tagtäglich die volle Aufmerksamkeit ihrer Wähler zu beanspruchen – anders als einst Gerhard Schröder oder Joschka Fischer.

Ein gutes Beispiel für diesen Effekt bieten derzeit auch die Grünen, deren vierköpfige Partei- und Fraktionsspitze ohnehin jede Aufnahmefähigkeit überfordert: Sie eilen in den Umfragen von Hoch zu Hoch – weil sie in der Kompetenzzuschreibung noch immer mit der Klimapolitik verbunden werden, die zurzeit so sehr en vogue ist. Wer stets die Rückkehr zur „Sachpolitik“ verlangt, sollte sich über den sinkenden Bekanntheitsgrad des politischen Personals also nicht beklagen.

Denn das Erstaunliche ist: Zum ersten Mal seit langem wird in Bezug auf die nächste Bundestagswahl lauter über die möglichen Themen des Wahlkampfs spekuliert als über die Person des SPD-Spitzenkandidaten. Von der Raketenfrage über den Mindestlohn bis zur Steuersenkung – es vergeht derzeit kaum ein Tag, an dem nicht ein neues Sachthema für die Kampagne 2009 ins Spiel gebracht wird. Dass dies weit vor der Halbzeit der Wahlperiode geschieht, wirft allerdings ein bezeichnendes Licht auf den Zustand der Koalition.

Dass die Bedeutung des Spitzenpersonals abnimmt, heißt allerdings auch, dass sich Angela Merkel nicht allzu sehr auf ihren glänzenden Umfragewerten ausruhen kann. Auch Heide Simonis war in Schleswig-Holstein einst weitaus bekannter als ihr Herausforderer Peter Harry Carstensen, Kurt Biedenkopf in Sachsen populärer als sein blasser Nachfolger Georg Milbradt. Ihr Amt abgeben mussten sie trotzdem. Auch aus eigener Erfahrung sollte Angela Merkel gewarnt sein. Schließlich übernahm sie ihr Amt von Gerhard Schröder, der als Person bis zuletzt stets populärer war als seine Erbin.