Vorsorge wird Pflicht

Ein Jahr nach Kevins Tod: Bremen schreibt als zweites Bundesland Vorsorgeuntersuchungen für Kinder vor

BREMEN taz ■ Die große Koalition in Bremen führt noch vor der Landtagswahl am 13. Mai verbindliche und flächendeckende Früherkennungsuntersuchungen für alle Kleinkinder ein. Einen entsprechenden Gesetzentwurf präsentierte gestern Sozialsenatorin Ingelore Rosenkötter (SPD) der Öffentlichkeit. Bremen ist damit nach dem Saarland das zweite Bundesland, das ein entsprechendes Gesetz vorlegt. Es soll noch im April vom Parlament verabschiedet werden. Mit ihm sollen Kinder wirksamer vor Misshandlung geschützt werden.

Geplant ist die Einrichtung einer Zentralstelle, die sich um alle Kinder zwischen drei Monaten bis zu sechs Jahren kümmert, die nicht an ärztlichen Vorsorgeuntersuchungen teilnehmen. Sie soll bei den kommunalen Gesundheitsämtern angesiedelt werden und die personengebundenen Daten der Einwohnermeldeämter mit jenen der KinderärztInnen abgleichen.

Die Ärzte, welche die insgesamt neun Früherkennungstests durchführen, sind verpflichtet auffällige Befunde an die Gesundheitsämter zu melden. Eventuelle Krankheiten oder Entwicklungsverzögerungen der Kinder sollen dabei jedoch nicht amtlich erfasst werden.

Die Behörden werden all jene Eltern anschreiben, die ihre Kinder nicht untersuchen lassen. Sanktionen sind allerdings nicht vorgesehen. Wer trotz mehrfacher Einladung nicht mit seinem Kind beim Arzt erscheint, dessen Akte landet anschließend beim Jugendamt. Dieses müsse sich dann weiter um die betreffenden Familien kümmern, sagt der kinder- und jugendpolitische Sprecher der Bremer CDU, Michael Bartels: „Im besten Falle“ nehme das Amt die Kinder anschließend „selbst in Augenschein“. Ein Fall wie der des Kindes Kevin lasse sich damit jedoch „wahrscheinlich nicht“ verhindern, sagt Bartels: „Das ist kein Allheilmittel.“ Um Misshandlungen vorzubeugen, kündigte die Sozialsenatorin auch ein Modellprojekt mit systematischen Hausbesuchen bei Risikofamilien an.

Das Sozialressort rechnet damit, rund 120 Familien im Jahr anschreiben zu müssen. Bislang beteiligen sich in Bremen rund 90 Prozent aller Eltern an den entsprechenden Vorsorgeuntersuchungen. Die Gesamtkosten der Maßnahme schätzt Rosenkötter auf rund 300.000 Euro.

Ursprünglich hatten sich sowohl die SPD-Senatorin als auch die CDU für eine bundeseinheitliche Regelung starkgemacht. Entsprechende Vorstöße waren jedoch gescheitert. Das Bremer Modell orientiert sich eng an dem Vorbild aus dem Saarland, das seit Februar in Kraft ist. Weitere Bundesländer bereiten ein ähnliches Gesetz vor. JAN ZIER