Leukämie in der Elbmarsch weiter ungeklärt

Die Wissenschaftler streiten sich. Das ist nach der Expertenanhörung zu den Leukämiefällen klar. Ein Atomphysiker weist 1,36 Kilo atomaren Brennstoff in der Elbmarsch nach, ein Kollege findet nichts. Die Politik ist sich weiter uneinig

Störfall oder Zufall? Auch nach einer zweitägigen Anhörung von Experten sind sich die Parteien im niedersächsischen Landtag nicht einig, ob ein Unglück in den Atomanlagen in der Elbmarsch zur Häufung von Blutkrebs in der Region geführt hat. Die Widersprüche bei den gestern gehörten Aussagen von Atomforschern seien „nicht aufzulösen“, sagte die Vorsitzende des Sozialausschusses, Gesine Meißner (FDP).

Dagegen verwies der SPD-Landtagsabgeordnete Uwe Harden (SPD) auf die Ergebnisse des weißrussischen Nuklearforschers Vladislav Mironow, der in neuen Bodenproben mikroskopisch kleine Kügelchen mit „hochangereichertem Uran und Thoriumnukliden“ gefunden haben will. Diese kämen einer Gesamtmenge von etwa 1,36 Kilogramm atomarem Brennstoff gleich.

Das sei der „eindeutige Beweis“, dass die Radioaktiviät „nicht natürlichen Ursprungs sein kann“, sagte Harden. Auf die Frage, woher der atomare Brennstoff stamme, habe Mironow geantwortet, das müsse in Deutschland geklärt werden, sagte Harden, der auch Vorsitzender der Bürgerinitiative gegen Leukämie in der Elbregion ist. Sie vermutet, dass ein Störfall in der Atomforschungsanlage GKSS in Geesthacht im Jahr 1986 Ursache für die Häufung von Leukämie ist.

Verschiedene Untersuchungen waren dagegen zum Schluss gekommen, dass die Ursache für die Häufung von Blutkrebs ungeklärt sei. Seit 1991 waren in einem Radius von fünf Kilometern um das Atomkraftwerk Krümmel und die GKSS 16 Kinder an Leukämie erkrankt, vier starben.

Auch wenn der Atomphysiker vielleicht nicht mit modernster Technik untersucht habe: Durch die Mironow-Studie gebe „es einiges für uns zu tun“, meinte der CDU-Abgeordnete Norbert Böhlke. Ein Atomphysiker der Universität Frankfurt hatte in Bodenproben aus der Elbmarsch dagegen „keine Radioaktivität“ gefunden, sagte Meißner. Das könne „aber auch an den unterschiedlichen Messmethoden liegen“. Die Ergebnisse des Frankfurter Wissenschaftlers im Auftrag der GKSS seien dadurch zu erklären, dass die BI nicht gefragt worden sei, wo nach Atombrennstoff zu suchen sei, entgegnete Harden.

Immerhin zeichnet sich ab, dass sich die Landtage in den betroffenen Bundesländern erneut mit den Ursachen der Erkrankungen beschäftigen könnten: FDP und SPD schlossen sich dem Vorschlag des Grünen Andreas Meihsies an, neue Bodenproben nach von beiden Seiten akzeptierten Kriterien zu untersuchen. „Man könnte die Proben unter notarieller Aufsicht ziehen und in zwei oder drei Labors untersuchen lassen“, sagte Meihsies. „Sonst drehen wir uns noch 20 Jahre im Kreis.“ CDU-Mann Böhlke erbat Bedenkzeit. Harden sagte, vor allem die Landesregierung in Kiel wäre bei Wiedergutmachungszahlungen am Zug. Die Atomanlagen liegen in Schleswig-Holstein. KAI SCHÖNEBERG

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