Keine Angst vor Bratwurst

Nitrat und Nitrit aus der Nahrung sind für Erwachsene ungefährlich. Für die Krebsentstehung zählt vielmehr, ob wenig Obst und Gemüse auf den Tisch kommt und ob Helicobacter den Magen besiedelt. Für Kleinkinder jedoch kann zu viel Nitrat tödlich sein

Richtig gefährlich kann Nitrit jedoch für drei bis sechs Monate alte Säuglinge werden

VON KATHRIN BURGER

Angst vor Wurst wegen des Nitritpökelsalzes? Lieber kein Rucola im Frühling, weil Nitrate aus Düngerrückständen drin stecken? Nitrat hat ein Image-Problem, seit man im Reagenzglas fand: die Substanz wird im Körper zu Nitrit, und dieses kann sich unter widrigen Umständen zu Krebs erregenden Nitrosaminen wandeln.

Doch was im Körper mit Nitrat und Nitrit genau geschieht, war lange Zeit unklar. Je mehr man weiß, desto mehr nehmen Wissenschaftler von Nitrat als Bösewicht Abstand. Denn gerade zur Krebsentstehung scheinen Nitrat und Nitrit aus der Nahrung wenig beizutragen. Das Fazit einer aktuellen Schweizer Übersichtsstudie der staatlichen Forschungsanstalt Agroscope Liebefeld-Posieux (ALP) in Bern lautet demgemäß: Bis heute ließ sich in keiner epidemiologischen Studie viel Nitrat in der Nahrung mit einer erhöhten Krebsrate in Verbindung bringen.

Die Stickstoffverbindung Nitrat gelangt nicht nur über die Nahrung in den Körper. Auch der Körper selber produziert beträchtliche Mengen, etwa 70 Milligramm pro Tag, aus der Aminosäure Arginin. Das heißt: Der Mensch verfügt über Mechanismen, die den Nitratstoffwechsel sehr fein regulieren.

Aus der Nahrung stammt noch einmal ungefähr die gleiche Menge an Nitrat. Wobei Menschen, die kein Gemüse mögen, 60 mg aufnehmen, Gemüseliebhaber dagegen auf 150 mg kommen. Die Autorin der ALP-Studie Alexandra Schmid folgert daraus, dass sich Wurstfans wegen des Nitritpökelsalzes keine Sorgen machen müssen. Lediglich 1,3 Prozent der im Körper gebildeten Nitritmenge werde mit Geräuchertem aufgenommen.

Für Vegetarier gilt: sie nehmen zwar vergleichsweise viel Nitrat über die Nahrung auf, sind womöglich aber aufgrund von Vitamin C, Aroma- und Farbstoffen aus Obst und Gemüse vor Krebs geschützt. Diese Stoffe blockieren die Bildung von Nitrosaminen im Magen.

Wie genau und in welchen Mengen die gefürchteten Nitrosamine im Magen entstehen, war lange Zeit reine Spekulation. Heute weiß man, dass auch der pH-Wert des Magens eine große Rolle spielt. Ist das Milieu sauer, bildet sich aus Nitrit Stickstoffmonoxid (NO). Dieses tötet im Magen Bakterien ab und regt die Blutzirkulation an, wodurch die Schleimhaut resistenter wird und vor Entzündungen – Vorstufen zum Krebs – geschützt ist. Ist der Magen-pH dagegen zu hoch – zum Beispiel bei der Einnahme von Säureblockern –, können sich Bakterien ansiedeln, die Nitrat zu Nitrit und Nitrit zu Nitrosaminen verwandeln. Auch der Magenkeim Helicobacter pylori baut Nitrit zu solchen zellschädigenden Stoffen ab.

Dass Fleischliebhaber, die mit diesem Keim infiziert sind, häufiger an Magenkrebs erkranken, hat auch die EPIC-Studie bestätigt, eine europäische Langzeitstudie, die das Ernährungsverhalten von über 500.000 Personen verfolgt. Als Ursache dafür wird heute aber nicht mehr das Nitritpökelsalz diskutiert, sondern eine stark salzhaltige Ernährung. „Salz trägt erheblich zu chronischen Entzündungen bei“, erläutert Jakob Linseisen, Ökotrophologe am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg, die neue Theorie. Das Risiko, an Magenkrebs zu erkranken, ist bis heute also nicht auf die alleinige Zufuhr von Nitrat zurückführbar.

Gilt das auch für Hirntumore? Weil eine Nitrosamin-reiche Kost bei Ratten zu dieser seltenen Krebsform führte, befürchtet man Ähnliches für den Wurstliebhaber. Doch auch hierfür fehlen bis heute die Beweise. Auch Schwangere, die gerne zu Salami oder anderen Wurstsorten greifen, schaden laut zwei Meta-Studien ihrem Kind nicht.

Vermutet wurde, dass eine wurstreiche Kost in der Schwangerschaft das Risiko des Kindes erhöht, am Medullablastom zu erkranken. Dagegen spricht auch: in den USA kommt seit 1970 viel weniger Pökelware auf den Tisch, zudem führen sich die Menschen mehr Vitamin C zu – trotzdem gab es eine leichte Zunahme an kindlichen Hirntumoren. Hierüber müsse es aber noch mehr Forschung geben, bevor man Entwarnung geben könne, mahnt die Schweizer Wissenschaftlerin Schmid.

Richtig gefährlich kann Nitrit jedoch für drei bis sechs Monate alte Säuglinge werden. Bei der Umwandlung von Nitrit in Nitrat im Blut reagiert das Sauerstoff transportierende Hämoglobin zu einer lädierten Form. Dieses kann bei hohen Nitrit-Mengen nicht schnell genug wieder repariert werden, und so kommt es zur Blausucht und damit droht Erstickungsgefahr. Vor allem in den Siebzigerjahren gab es mehrere Blausucht-Fälle in Deutschland.

Gestillte Babys sind davon nicht betroffen. Wer jedoch Flaschennahrung verwendet, der sollte diese mit nitratarmem Wasser zubereiten. Leitungswasser darf deshalb laut der Trinkwasserverordnung einen Grenzwert von 50 mg Nitrat und 0,1 mg Nitrit pro Liter nicht überschreiten. Zu Blausucht kam es in der Vergangenheit auch bei Säuglingen, die vor dem sechsten Monat Beikost aus Spinat gefüttert bekamen. Wird Spinat zu lange aufbewahrt, bildet sich aus dem darin enthaltenen Nitrat Nitrit.

Die strengen Auflagen für die Landwirtschaft, was das Düngen anbelangt, sind also gerechtfertigt. Den Appetit auf Bratwurst sollte man sich jedoch nicht verderben lassen. Wer auf Nummer sicher gehen will, kann die Wurst mit Senf oder Ketchup genießen – die Würzsoßen liefern Pflanzenstoffe, die die Entstehung von Nitrosaminen behindern.