Von der taz-Kopie zur Guerilla im Internet

BERLIN taz ■ Mit Hankyoreh Shinmun ist in Südkorea im Mai 1988 ein Tageszeitungsprojekt nach taz-Vorbild gestartet worden. In der Folge antidiktatorischer Massenproteste 1987, die zur Demokratisierung führten, gründeten entlassene Redakteure das linksliberale Blatt. 7.223 Bürger ermöglichten den Start mit dem Kauf von Anteilen, weitere halfen mit Spenden.

Ziel war es, das Meinungsmonopol der rechtskonservativen Zeitungen zu brechen. Hankyoreh wurde mit einer Auflage von 400.000 und 62.000 Anteilseignern zahlenmäßig sogar erfolgreicher als die taz. Doch auch das koreanische Blatt ist finanziell chronisch klamm. Seit der Präsidentschaft des liberalen Kim Dae Jung gilt es als regierungsnah. Der erhoffte große Einfluss, der Wahlen entscheidet und Massenbewegungen auslöst, blieb Hankyoreh verwehrt. Den erzielte vielmehr das im Februar 2000 gegründete Internetnachrichtenportal www.ohmynews.com. Es wurde zum weltweit erfolgreichsten Beispiel von Gegenöffentlichkeit der letzten Jahre.

OhmyNews verhalf 2002 dem weitgehend unbekannten Roh Moo-hyun ins Präsidentenamt. Roh wurde von konservativen Medien geschnitten, während OhmyNews ausführlich über den Exarbeitsanwalt berichtete und die junge Generation mobilisierte. Die Konservativen unterschätzten die Macht des Internets. In Südkorea, wo 80 Prozent aller Haushalte einen DSL-Anschluss haben, ist das Web für junge Leute heute Hauptinformationsquelle. So ist der Erfolg von OhmyNews auch Ausdruck des Generationswechsels.

„Jeder Bürger ist ein Reporter“, lautet das Motto von OhmyNews. 43.000 sogenannte Bürgerreporter arbeiten heute für die werbefinanzierte Website. Ihre Berichte betreuen 65 professionelle Redakteure. Von den täglich 150 veröffentlichten Artikeln stammen zwei Drittel von den „Guerillareportern“, wie sie „OhmyNews“-Herausgeber Oh Yeon-ho nennt, ein Drittel kommt von Professionellen. Letztere prüfen alle Texte vor Veröffentlichung.

OhmyNews brachte es im Wahlkampf 2002 auf 20 Millionen Seitenzugriffe pro Tag. Heute sind es nur noch maximal 2 Millionen. Zwar gibt es seit 2005 eine internationale Ausgabe auf Englisch und seit 2006 auch eine japanische. Doch ließ sich der Erfolg andernorts nicht kopieren. Vielmehr verliert OhmyNews inzwischen auch in Südkorea an Boden und schreibt seit 2006 wieder rote Zahlen. Ein Relaunch im Mai wie auch die Verknüpfung mit Video soll die Wende bringen.

SVEN HANSEN