LESERBRIEFE
:

Misstrauen ist angebracht

■ betr.: „Der Widerspenstigen Zählung“, taz vom 9. 5. 11

Genauerer Betrachtung bedarf das entscheidende Argument der Zensusbefürworter: Für vernünftige Planung brauche der Staat umfangreiche Informationen. Seit der letzten Volkszählung hatten verschiedene Bundesregierungen und alle im Bundestag vertretenen Parteien – außer Die Linke – Gelegenheit zu demonstrieren, in wessen Interesse Planung betrieben wird. Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, Energie- und Verkehrspolitik und die Wirtschafts- und Finanzpolitik haben im Wesentlichen das Ziel, eine neoliberale Agenda konsequent durchzusetzen. Mit dem Ergebnis der Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich, der Privatisierung aller Gemeinschaftsgüter und der Daseinsvorsorge, der Liberalisierung der Finanzmärkte im Dienste der Spekulanten, der Gefährdung der Bevölkerung zugunsten der Energiekonzerne. Misstrauen ist angebracht gegenüber der Volkszählung und ihrer missbräuchlichen Nutzung; der Widerstand sollte aber einer Politik gelten, die ganz legal die Interessen von Konzernen und Reichen bedient. GEORG RAMMER, Karlsruhe

Ihre Dusche ist veraltet!

■ betr.: „Warum muss der Staat wissen, ob mein Haus eine Dusche hat?“, taz-Gespräch mit Juli Zeh und Gert G. Wagner vom 9. 5. 11

Liebe Frau Zeh, der Staat ist nicht wirklich an Ihrer Dusche interessiert, aber die Privatwirtschaft weiß schon lange, dass gerade Ihre Dusche völlig veraltet ist und endlich durch ein Design-Shower-Set ersetzt werden muss. Alles, was Sie dem Staat als theoretisch möglichen Missbrauch zutrauen oder unterstellen, widerfährt uns vielfach sublimiert und pervertiert jeden Tag durch die private Wirtschaft, durch die Werbung und durch den um Zehnerpotenzen höheren Datenbestand der Privatwirtschaft. VOLKER JUNG, Hamburg

Fragen wörtlich beantworten

■ betr.: „Der Widerspenstigen Zählung“, taz vom 9. 5. 11

Man sollte einfach versuchen, Fragen ganz wörtlich zu beantworten. Bad oder Dusche: nein, denn beides, oder ein WC: nein, denn zwei, oder Heizung: sowohl als auch (meist hat man zur Not noch ein Heizöfchen, oder? Und wer während seines Studiums/seiner Arbeit längere Zeit im Ausland war, ist natürlich zugezogen, oder? Man kann sich doch auch zwei Religionsgemeinschaften verbunden fühlen, oder? REGINA NEUMANN, Marburg

Kein BMW, nur Kugelschreiber

■ betr.: „Wie bestechlich dürfen Ärzte sein?“, taz vom 6. 5. 11

Bereits als Medizinstudent ist mir die Grundeinstellung der taz der Ärzteschaft gegenüber aufgefallen: Es gibt eine Ärztelobby, die sichert ihre Pfründen, missachtet die Interessen der Patienten und ist der Politik gegenüber aufmüpfig. Inzwischen gibt es eine neue Generation Ärzte, die dieses unwürdige Verhalten nahtlos weiterführt, obwohl sich die Rahmenbedingungen völlig verändert haben. Nach 16 Jahren Praxis als Hausarzt kann ich sagen, dass sich die „Ärztelobby“ in verschiedenste Interessengruppen (KV, Ärzteverbände etc.) mit zum Teil gegensätzlichen Zielen aufteilt.

Die Krankenkassen reglementieren zunehmend die ärztlichen Handlungsmöglichkeiten und spekulieren zum Teil selbst mit den Kassenbeiträgen. Auch wenn ich kein Freund der Pharmaindustrie bin, so sehe ich durch Arzneimittelfestbeträge und Verordnungsrichtlinien die Gewinnspannen für die Basismedikamente zunehmend kleiner werden. Aufgrund des so eingeschränkten ärztlichen Handlungsspielraums besteht seitens der Industrie kein Interesse, hausärztlich arbeitende Mediziner zu „bestechen“. Schon gar nicht mit BMWs oder Flugreisen, es reicht gerade mal für Kugelschreiber. Von politischer Seite werden wir Ärzte zunehmend gegängelt: unüberschaubare Bürokratie durch sich ständig ändernde Arzneimittel- und Heilmittelverordnungsrichtlinien, Kodierungsrichtlinien, wechselnde Abrechnungsziffern und Honorarabrechnungen, Fortbildungsverpflichtung durch Punktesammeln, Budgetierung in den ärztlichen Leistungen, zwangsweise Auflösung von gewachsenen und funktionierenden Notdienstkreisen etc.

Hausärzte bekommen circa 35 Euro pro Patient in drei Monaten vergütet. Nach Abzug der Unkosten wird eine Durchschnittspraxis von 800 bis 900 Scheinen davon definitiv nicht reich. Die Ausgaben der Krankenkassen für ärztliche Leistungen sind in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken; 20.000 junge deutsche Ärzte arbeiten im Ausland, weil die Bedingungen dort offensichtlich besser sind als hier. Wacht mal auf, ihr tazler! KLAUS INNECKEN, Bad Gandersheim