Die Kunst, viele zu sein

VERSAMMLUNG Beim Kongress „The Art of Being Many“ des Kunstkollektivs Geheimagentur wollen sich Künstler, Aktivisten und Wissenschaftler in Hamburg über Materialität, Zeitlichkeit, Begehren und Katastrophen des Vielen austauschen

„Wir sind die 99 Prozent“, das war vor drei Jahren das Motto der Occupy-Wall-Street-Bewegung im Zucotti Park im New Yorker Finanzdistrikt. Bezogen war die griffige Formel auf die Verteilung der Vermögen, auf die Tatsache, dass dem reichsten Prozent der US-Amerikaner mehr als ein Drittel des Vermögens gehört. Erst mal auf der Straße, hatten die Aktivisten tatsächlich das Gefühl, plötzlich viele zu sein – mehr als die meisten von ihnen erwartet hatten. Und doch nicht genug, um auch nur den kleinsten Teil ihrer Forderungen längerfristig auf die politische Agenda zu setzen.

Dieses Gefühl, immer zu wenige zu sein, um die geforderten Veränderungen durchzusetzen, teilen Aktivisten mit Künstlern. Das ist die These des offenen Kunstkollektivs Geheimagentur, das gemeinsam mit der Kulturfabrik Kampnagel am kommenden Wochenende in Hamburg zu einer ungewöhnlichen Versammlung der Versammlungen oder besser: zu einem Zusammenbau von Zusammenbauten lädt. Beim Kongress „The Art of Being Many“ sollen sich künstlerische, aktivistische und wissenschaftliche Kollektive aus aller Welt vier Tage lang gemeinsam fragen, ob es eine Kunst des Vielseins gibt, Erfahrungen mit Demokratiebewegungen und künstlerischem Experimentieren austauschen. Kann man die Kunst des Vielen lernen, verkörpern, fortsetzen? Kann das Viele eingeübt werden?

Unterteilt ist der Kongress in zwei Phasen. Ab Donnerstag treffen Gruppen wie die Geheimagentur, das Lab of Insurrectionary Imagination, das Theatre of Research, Kick Ass Queereeoké, die Mobile Akademie oder The Temporary Radio in Gruppen aufeinander, um sich über Aspekte des Vielen auszutauschen: Welche Materialität besitzt es, auf welche Weise trifft es Entscheidungen? Welche Zeitlichkeit besitzt das Viele? Welche Rolle spielen die Panik und die Blockade? Wie klingt das Viele? Wie lässt es sich erfahren?

Am Samstag und Sonntag wird die Versammlung dann öffentlich. In einer aus Modulen – Containern, Gerüsten, Europaletten – zusammengebauten Arena für rund 400 Beteiligte präsentieren die Gruppen, was entstanden ist. Aufgebaut ist das Ganze dezentral. An die Stelle individueller Präsentation auf einer Bühne tritt eine Verteilung von Kanälen. Ob man sich einen Vortrag anhört oder selbst am offenen Mikrofon kommentiert, all das wird von keiner zentralen Instanz geregelt: Für zwei Tage soll es weder Publikum noch Performer geben. Nur die vielen, die sich versammeln.  MATT

■ Sa, 27. 9., und So, 28. 9., Hamburg, Kampnagel. Infos unter the-art-of-being-many.net