Der schwimmende Autoverkäufer

Alexander Tschigir ist zum zweiten Mal bester Torwart der Wasserball-WM. Dabei ist der gebürtige Russe schon 38. Doch das Ende der Karriere naht: Ein letztes Mal will Tschigir noch bei der Olympiade in Peking eine Medaille holen

Den Pokal hat Alexander Tschigir extra ins Autohaus nach Spandau mitgenommen. Hier arbeitet Tschigir ganztags als Verkaufsberater. Es ist gerade Mittagspause. Der günstigste Zeitraum, sich mit ihm über seine Wasserballkarriere zu unterhalten, wie Tschigir im Vorfeld des Gesprächs versichert hat. Seine Zeit ist knapp bemessen. Neben der Arbeit trainiert er noch 30 Stunden die Woche bei den Wasserfreunden Spandau 04.

Den Pokal erhielt Tschigir Ende März in Melbourne aus den Händen eines Funktionärs vom Schwimm-Weltverband. Tschigir wurde als bester Torwart der gerade zu Ende gegangenen Wasserball-WM ausgezeichnet, obwohl sein Team, die deutsche Nationalmannschaft, lediglich den achten Rang belegte. Der besondere Wert der Ehrung aber ergibt sich für Tschigir vor allem aus seinem fortgeschrittenen Alter. Der Torwart feierte letzten November bereits seinen 38. Geburtstag. Dem letzten Abschnitt seiner Karriere hat er nun einen beachtlichen Glanz verliehen. Tschigir träumt jetzt vom triumphalen Schlusspunkt. „Ich möchte nächstes Jahr bei der Olympiade in Peking als Medaillengewinner meine Laufbahn beenden“, so der gebürtige Russe.

Gefühlte 25 Jahre

Aber er werde so oder so aufhören, beteuert Tschigir und fügt hinzu: „Irgendwann muss man diesen Entschluss ja treffen.“ Das hört sich wenig überzeugend an. Tschigir lässt die Vernunft sprechen, doch die Wehmut, die ihn befällt, ist nicht zu übersehen. Sein Blick schweift bei diesem Thema in die Ferne. Er hat sich für seine Frau und seine zwei Kinder entschieden, die ihn in der Vergangenheit aufgrund seiner Doppelbelastung wenig zu Gesicht bekamen. Doch Tschigir selbst hinkt seinem Entschluss hinterher. Er ist noch nicht so weit. „Laut Pass bin ich zwar 38 Jahre alt, aber ich fühle mich wie 25“, bemerkt Tschigir.

Das Alter hat ihm bislang tatsächlich nichts anhaben können. Seine Reaktionsschnelligkeit ist unverändert hoch. Und sein Gewicht hält der 1,91 Meter große, 82 Kilogramm schwere Torwart problemlos. „Er hat den genetischen Code, um so lange zu spielen“, erläutert Peter Röhle, der ihn neun Jahre lang trainierte.

Bundestrainer Hagen Stamm verweist zudem auf seine gute Grundlagenausbildung, die er in Moskau erhielt. Tschigir wanderte erst 1993 nach Deutschland aus, weil ihm sowohl die politischen als auch die sportlichen Perspektiven in Russland zu unsicher erschienen. Mit Russland holte er 1992 noch die Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen in Barcelona. Seit etlichen Jahren zählt er schon zur Weltspitze. Auch bei der letzten WM 2005 wurde er zum besten Torwart gewählt.

Als das deutsche Team vor wenigen Wochen insbesondere dank Tschigirs herausragender Leistung mit einem 6:3 Sieg über die USA erstmals nach 16 Jahren in ein WM-Viertelfinale zog, sprach ihn Bundestrainer Stamm gewissermaßen heilig. „Das war mehr. Das war überirdisch“, schwärmte der Trainer.

Überirdischer Musterprofi

Tschigir erklärt seinen Erfolg unter anderem damit, dass er immer bis zum allerletzten Moment versuchen würde, jeden Ball zu halten. „Vielleicht bin ich in diesem Bereich Weltmeister. Ich höre nie auf zu kämpfen“, sagt er. Diese Mentalität würde es ihm wohl auch schwer machen, seine Karriere zu beenden.

Seine Trainer bestätigen, dass Tschigir über eine ungemeine Willenskraft verfügt. Für sie ist er der leibhaftige Musterprofi. Stamm erzählt, er würde keinen kennen, der sich auf Spiele so akribisch vorbereite wie Tschigir. Und Röhle bezeugt, Tschigir halte seine Motivation stets hoch, egal wie bedeutend das Spiel sei. Er sei für alle ein absolutes Vorbild.

So wäre es bestimmt auch am Samstag in der Schöneberger Schwimmhalle gewesen, als Spandau 04, der nahezu konkurrenzlose Meisterschaftsfavorit, in einer wenig spannenden Partie den SC Magdeburg 18:6 besiegte. Tschigir wäre gewiss nach jedem Ball gehechtet, als ginge es um alles oder nichts. Doch Trainer Nebojsa Novoselac verordnete ihm aufgrund der großen Belastungen zuletzt eine Ruhepause.

In gut einem Jahr wird es so weit sein. Dann wird Tschigir nur noch Autos verkaufen. Was ihm fehlen wird, vermag er gar nicht in Worte zu fassen. Nur dieser traurige Blick ins Nichts verrät: Es wird immens viel sein. JOHANNES KOPP