Richtiges sehen und Wichtiges schreiben

Unabhängige Filmkritiker stritten darüber, ob die Ignoranz gegenüber dem Populären politisch genug ist

Wie über Film schreiben, jenseits des Tagesgeschäfts? Also jenseits der Tages- oder Wochenpresse, die klar definierten Regeln zu folgen hat: Sie muss aktuell sein und in jedem Text ein für die Mehrheit der Kinointeressierten nachvollziehbares Urteil formulieren, ob ein Film sehenswert ist oder nicht. Filmkritik in diesem Sinne produziert Gebrauchstexte, die die Handlung umreißen und nonchalant die Bildererzählung in eine Buchstaben-Geschichte verwandeln. Eher selten rücken solche Texte das Medium Film selbst in den Mittelpunkt – zeigen oft nicht, wie ein Film gebaut ist, was seine Bildersprache ausmacht, wie mit Ton oder Geräusch umgegangen, wie geschnitten wird und was das alles mit dem Zuschauer macht oder eben nicht macht.

Die frühstückstaugliche Filmkritik also lässt wesentliche Fragen offen, darüber war man sich bei der Diskussionsveranstaltung „Schreiben über Film“ im Arsenal am Samstag einig. Zugegen waren Redakteure von im Moment wichtigen deutschsprachigen Filmmagazinen: Michael Baute, der den Weblog „newfilmcritic“, wie er selbst meinte, „hausmeisterlich betreut“, Christoph Hochhäusler, der im Heft Revolver ausschließlich Filmschaffende zu Wort kommen lässt, Isabella Reicher von der allseits geschätzten österreichischen Printzeitschrift Kolik.film – und schließlich zwei Herausgeber von avancierten Online-Magazinen: Ekkehard Knörer von „Jump Cut“ und Kathrin Peters von „nach dem film“.

Nach einer kurzen Vorstellungsrunde – die fürs Publikum wichtiger war als für die eng vernetzten Panelteilnehmer – ging es schnell mitten in die Diskussion. Aus dem Publikum kam der Vorwurf, dass die Magazine, bei allem Experten- und Liebhabertum, die Frage der Politik und der politischen Stellungnahme sträflich außer Acht ließen.

Allesamt wiesen die Editoren diesen Verdacht zurück. Die Diskussion von Bildersprachen und Sehweisen sowie ihren Veränderungsprozessen dürfe keineswegs als unpolitisch banalisiert werden. Man nehme zum Beispiel die DVD. Sie erfinde einen vom Kinogänger deutlich zu unterscheidenden Zuschauer. Mit der Möglichkeit ausgestattet, den Film wieder und wieder vor- und zurückzuspulen, vermag er den vom Regisseur gewollten Bilderfluss nach eigenem Gusto zu unterbreche, zu steuern und folglich aus dem fremden Film – bis zu einem gewissen Maße – einen eigenen zu basteln. Genau das generiere heute auch ein anderes, detailgenaueres Schreiben über, gegen und mit dem Film.

Die Politik des Sehens und Schreibens wurde dann noch einmal brisant. So fiel auf, dass alle Macher bei der Auswahl ihrer Themen und auch Autoren vor allem ihrem Interesse und ihrer Lust folgen. Nicht um zu privatisieren, sondern um das Prinzip der Leidenschaft, ohne die kein Kunstwerk entstehen kann, gegen die Logik des Sachzwangs zu behaupten. So richtig die Verteidigung und die Analyse dessen ist, was Spaß macht, was anregt, was neue Denk- und Sehmöglichkeiten eröffnet – es bleibt ein Problem. So führt die puristische Konzentration auf wie auch immer avancierte Filme dazu, dass national wie international breiter rezipierte und diskutierte Produktionen wie „Der Untertan“ und die mit ihnen verbundene populäre Einschreibung des Nationalsozialismus in den filmischen Mainstream unkommentiert bleibt.

Panel und Publikum fragten weiter: Wenn die avancierte Filmkritik sich weigert, sich an uninspirierenden Filmen die Finger schmutzig zu machen, wer soll die Zurückweisungmarktfähiger Geschichtsklitterung übernehmen? Die ins Tagesgeschäft eingebundenen Kritiker werden sie allein nicht leisten können. Und: Kollidiert diese Verweigerung nicht mit der Forderung, Wahrnehmungsweisen als Politikum ernst zu nehmen? Insofern etwa die leicht konsumierbare Inszenierung von Hitler und damito die Zuschneidung totalitärer Herrschaftsformen auf eine Führerfigur einem Geschichtsbild zuarbeitet, das es gerade nicht erlaubt, Gewaltverhältnisse zu verstehen.

Wäre daher der Vorwurf, mit kleinen, feinen Publikationen wohlfeile Nischenbildung zu betreiben, nicht doch gerechtfertigt? Vielleicht. Doch rechnet man den Umstand ein, dass alle Editoren unentgeltlich daran arbeiten, Zugänge zu Filmen anzubieten, die dem Markt und eingeschliffenen Wahrnehmungsgewohnheiten zuwiderlaufen, und infolgedessen ihren Unterhalt anders verdienen und sich verdingen müssen – wer wollte ihnen vorwerfen, dass sie den von ihnen geschaffenen Freiraum gegen die Flut des Trivialen verteidigen? INES KAPPERT