der gedemütigte rosenkohl von RALF SOTSCHECK
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Der arme Rosenkohl. Generationen britischer Kinder sind damit aufgewachsen, zu Weihnachten kommt kein Truthahn ohne Rosenkohl auf den Tisch, doch nun ist ihm die schlimmste Demütigung widerfahren: Das Statistische Landesamt in London entfernte ihn aus dem offiziellen Warenkorb, mit dem die Inflation ermittelt wird. Stattdessen ist zum ersten Mal Broccoli aufgenommen worden.

Der Warenkorb enthält 650 Produkte, und seit 1947 gehörte auch der Rosenkohl dazu. Inzwischen gelte er als Gemüse von gestern, erklärte das Statistische Landesamt, während Broccoli sexy sei. In einem Land, in dem Margaret Thatcher einmal zur „Frau des Jahres“ gewählt wurde, erscheint wohl sogar Bröckelkohl, wie er auf deutsch auch genannt wird, als sexy. „Die Briten geben inzwischen mehr für Broccoli aus als für Rosenkohl“, sagte ein Sprecher des Amtes. „Davor kann man die Augen nicht länger verschließen.“

Broccoli kam im 16. Jahrhundert aus Kleinasien über Italien nach England und war dort zunächst als „italienischer Spargel“ bekannt. Vor kurzem wurde er in England wegen seiner vielen Nährstoffe und der angeblich krebshemmenden Wirkung zum „Superfood“ ernannt. Die Ernährungswissenschaftlerin Carina Norris verteidigt den altmodischen Rosenkohl: „Broccoli ist nicht besser als Rosenkohl, er enthält keineswegs mehr Nährstoffe, aber weil er plötzlich chic ist, erhält er mehr Aufmerksamkeit.“ Beide gehören der Kohlfamilie an, sagt sie, und beide gehören in den Warenkorb. „Lasst den Rosenkohl nicht im Stich“, fleht sie. Dabei ist die Mohrrübe der wahre Superheld im Gemüsereich. Zwei schottische Wissenschaftler, Eric Whale David Hepworth, haben fünf Jahre lang mit Karotten experimentiert und eine streng geheime Methode entwickelt, um aus dem Gemüse ein festes Material herzustellen, das vielseitig verwendbar sein soll. Sie nennen es Curran, und das erste Produkt daraus ist eine Angelrute fürs Fliegenfischen. Sie ist seit vorigem Monat auf dem Markt.

Curran sei umweltfreundlicher als andere Fasern, sagt Whale, denn wenn man es verbrenne, sei der Kohlendioxidausstoß geringer als die Menge an Kohlendioxid, die die Mohrrüben beim Wachsen verbraucht haben. Curran sei die bedeutendste Erfindung seit der Entdeckung von Kohlefasern vor mehr als 30 Jahren, jubelte Hepworth, und im Geiste sieht er seinen Kontostand ins Unermessliche steigen. „Unternehmen wollen Qualität, die umweltfreundlich ist“, hofft er. Für eine Angelrute sind zwei Kilo Karotten nötig. Bei einem Kilopreis von zehn Pence sind die Materialkosten für die Angel ziemlich niedrig. Demnächst wollen Whale und Hepworth auch Steckrüben und Pastinaken verwenden. Doch damit geben sich die beiden Wissenschaftler nicht zufrieden. Ihr nächstes Projekt sind Snowboards, aber in der Zukunft seien auch Maschinenbauteile, ja sogar Autos und Kriegsschiffe aus Mohrrüben vorstellbar. Al-Qaida wird das mit Interesse vernehmen. Die Terrororganisation soll in den Höhlen Afghanistans bereits mit der Karnickelzucht begonnen haben. Warum soll man britische Kriegsschiffe auch bombardieren, wenn man stattdessen ein paar Kaninchen mit Fallschirmen auf sie abwerfen kann?