Großes Schwarz bedrängt kleine Gestalt

Die Transformation von Depression in wütende Texte und obsessive Malerei: Dafür war Uwe Lausen in den sechziger Jahren bekannt. Die Ausstellung „Gehirnschaukel. Passagen im Werk von Uwe Lausen“ in der Akademie der bildenden Künste Wien erinnert an den fast vergessenen Künstler

von JACQUELINE RUGO

„Je mehr ich die Bruchstücke dieser Welt auf mich beziehe, desto totaler wird mein Blick. Die Egozentrik ist ein totalisierendes Organ“, bekannte Uwe Lausen in einem seiner vielen Texte. Im Jahr 1962 schockierte er mit seinen „Protokollen des Negativen“ in seiner ersten Einzelausstellung in der Galerie Springer, Berlin.

Lausen, der 1941 in Stuttgart geboren wurde und seit 1960 in München lebte, war bis dahin vor allem in der Subkultur bekannt. Wegen seiner gotteslästerlichen und pornografischen Äußerungen in der Zeitschrift der „Gruppe Spur“ hatte der Zwanzigjährige bereits einen Arrest von drei Monaten verbüßen müssen.

In Gemälden und Zeichnungen, aber auch in Texten und Musik setzte sich Lausen mit seinen Ängsten auseinander: „Beim Malen“, erklärte er, „verwandelte sich meine Depression in Aggression, nur so konnte sie sich äußern.“

Als Lausen 1970 den Freitod als letzten Ausweg aus seiner manisch-depressiven, vom Drogenkonsum gezeichneten Existenz wählte, hinterließ er ein Werk, das sowohl seinen täglichen inneren Kampf spiegelt wie es auch die gesellschaftlichen und künstlerischen Phänomene seiner Zeit reflektiert.

Derzeit gibt die Akademie der bildenden Künste in Wien mit einer präzisen Ausstellung einen Einblick in das Werk seines kurzen Lebens. Mit dieser Schau des „Peintre maudit“ hat sich Direktor Stephan Schmidt-Wulffen einen lang gehegten Wunsch erfüllt. Aus der ohnehin kurzen Schaffensphase des Künstlers zeigt die Ausstellung 36 Gemälde, die Lausen von 1963 bis 1965 malte, und stellt damit einen prägnanten Teil eines Aufsehen erregenden Oeuvres vor, das trotz einiger Ausstellungen in den letzten Jahren weitgehend unbekannt ist.

Nachdem er schon als Kind durch seine musische Begabung aufgefallen war – 1954 hatte Lausen eine erste Ausstellung mit Aquarellen und Zeichnungen, die ihm eine Kritik in der Stuttgarter Zeitung einbrachte – begann er 1960 in Tübingen ein Jura- und Philosophiestudium, das er im Jahr darauf zugunsten künstlerischer Aktivitäten aufgab. Einer der Beweggründe war sicher seine Beziehung und Freundschaft mit den Malern der Gruppe Spur in München.

Ohne je eine Kunsthochschule besucht zu haben, entwickelte Lausen in dem knappen Dezennium von 1961 bis 1969 Kunstformen, die die unbewältigte politische Vergangenheit der Elterngeneration ebenso kritisch hinterfragten wie das überkommene, freilich schon brüchig werdende gesellschaftliche Wertesystem. Seine stilistischen Mittel wandelten sich dabei vom Informel zum Realismus, immer aber kreisten seine Bildthemen um Zerstörung, Verzweiflung und Tod.

Einen ersten Komplex bilden die von 1961 bis 1962 datierenden, in enger Verbindung mit Cobra und Spur stehenden expressiven Selbstentfesselungen, in denen bereits gelegentlich fratzenhafte Gesichte auftauchen und die in ihren Titeln auf menschliche Verhaltensweisen verweisen. Lausen durchlebte eine Phase extremer persönlicher Erfahrungen: Sein vom Drogenkonsum begleitetes Schaffen dieser Jahre ist Zeugnis einer Periode des Experimentierens und Suchens. 1963 zeichnen sich bereits erste Erfolge ab: Lausen hat Galerieausstellungen in Stuttgart und in München und eine Beteiligung an den „Salons Comparaisons“ im Musée d’Art Moderne in Paris.

Die Arbeiten aus den Jahren 1963 bis 1965, auf die sich die Wiener Ausstellung konzentriert, entstanden unter dem Einfluss des Nouveau Réalisme, der Pop Art und vor allem von Francis Bacon, wie sein Gemälde „Ringo“ aus dem Jahre 1965 und die im gleichen Jahr entstandene „Portraitübung“ belegen.

Doch es gab noch weitere, völlig andersartige Einflüsse, die Lausen, beispielsweise in seinem Gemälde „Hundertwasser-Schrebergärten“ (1964) verarbeitete. Nebeneinander entstehen in diesen Jahren unterschiedlichste Werke: postinformelle Bilder, deren malerischer Gestus die Auseinandersetzung mit Werken von Willem de Kooning verraten; in anderen Bildern tritt das Figurative nur verschlüsselt in Gestalt von Gesichtern und (Seelen-)Landschaften auf. Gleichzeitig arbeitete Lausen an Szenerien wie „Mann mit Gewehr“ (1965), denen er mit matissehaftem Vergnügen starkfarbige Ornamente einverleibte. Mit dem Stil- und Formvokabular aus Pop-Art und Comics montierte er schließlich überarbeitete fotografische Porträts in seine Gemälde. Als durchgängiges Prinzip aller Bilder dieser Jahre lässt sich trotz starker formaler Unterschiede Lausens Unbeschwertheit beim Kombinieren von abstrakt biomorphen Formen mit realistisch gemalten Details bemerken.

Ab 1965 verbat sich Lausen jeden freien Gestus. Seine Bilder wirken poppig und handeln von Krieg, Terror und Gewalt. „Adam oder die Vision des Erfolges“ (1965) ist ein typisches Beispiel dieser Phase: eine bilddominierende schwarze Fläche bedrängt eine am linken unteren Bildrand liegende kleine, nackte Gestalt.

Mit der wachsenden Anerkennung und Akzeptanz bei Galeristen und Sammlern verlieren die Bilder ihre existenzielle Brisanz. Um sich der zunehmenden Glättung seiner Werke zu entziehen, gab Lausen die Malerei auf. Ab 1969 schrieb er nur noch kurze Sentenzen, in denen er die Summe seines bisherigen Lebens zu ziehen versuchte. Sie sind auch Vorbereitung zu seinem Suizid im folgenden Jahr.

Mit ihrer Konzentration auf einen zeitlich engen Zeitabschnitt kann die Wiener Schau jedoch nur eine Ahnung von dem geben, was Lausen in seiner Malerei vorweggenommen hat: Sowohl sein Suchen und Experimentieren als auch seine krassen stilistischen Sprünge machen ihn heute für eine jüngere Gruppe von Künstlern wie Kai Althoff und Daniel Richter attraktiv. Lausen hat eine Reihe eindringlicher Werke geschaffen, inwieweit er zu den berühmten Unvollendeten zählt, lässt sich über diese Schau aber nicht entscheiden.

Akademie der bildenden Künste Wien, bis 29. April 2007