Von der Bretterbude zur Millionenfirma

PERU Wertstoff war lange ein Fremdwort in Peru. Das hat sich in den letzten Jahren geändert. Nicht nur bei Plastik und Glas, auch bei Elektronik wird mittlerweile wiederverwertet. Dabei arbeiten Ministerium und Privatwirtschaft eng zusammen

AUS LIMA KNUT HENKEL

Onkel Li setzt den Schraubenzieher an und drückt eine Metallstrebe von der Platine, die einst in einem Computer steckte. Systematisch entfernt der 56-jährige Peruaner chinesischer Abstammung Metallteile, die separat verwertet werden und nichts im Müll zu suchen haben. Neben seinem Arbeitsplatz, einem geräumigen Tisch, der mit einem Akkuschrauber ausgestattet ist, stapeln sich die Computerteile. Auf dem Tisch sammelt der Mann mit der Baseballkappe und dem grauen T-Shirt mit dem Aufdruck „San Antonio Recycling“ alle speziellen Metallteile in einer Holzschachtel. Die werden getrennt wiederverwertet.

„Wir bauen die Computer, aber auch jedes Bügeleisen, Radio oder Telefon komplett auseinander. Alles Verwertbare wird gesammelt, die Plastikteile gepresst und nach Farben vorsortiert, bevor sie exportiert werden“, erklärt Antonio Li. Der 32-Jährige mit dem zarten Dreitagebart am Kinn ist der Geschäftsführer von San Antonio Recycling. Letztlich hat ihn sein Onkel Li auf die Idee gebracht, sich mit Recycling von Elektrogeräten zu beschäftigen. „Er hat mit dem Handel von recyceltem Plastik, Metall und Pappe zwischenzeitlich sein Geld verdient. Mir ist dann aufgefallen, dass immer mehr Elektroschrott auf den Müllkippen in Flammen aufgeht oder einfach am Straßenrand rumliegt.“

Das war der Startschuss für die Firma, denn Antonio Li war schnell klar, dass die Idee, Elektroschrott zu recyceln, Potenzial hat. Gemeinsam mit Onkel Li arbeitete er das Konzept aus. Zentrale Fragen wie, woher der Elektroschrott kommen, wohin die Einzelteile gehen, wo Schadstoffe entsorgt werden sollten, mussten beantwortet werden.

4 bis 5 Kilo Elektroschrott fallen pro Kopf in Peru laut dem Umweltministerium an. Besonders attraktiv ist die Entsorgung von Halbleitern und Computerplatinen, weil das Recycling der darauf verarbeiteten Metalle sich lohnt.

Mehrere Monate wurde über das Konzept im Familienrat gebrütet, bis 2006 das Unternehmen in einer Bretterbude im Zentrum Limas gegründet wurde. Der Elektroschrott wurde einfach an den Müllkippen eingesammelt oder für kleines Geld angekauft.

Bald brauchte das Unternehmen größere Flächen und zog an den heutigen Standort in San Juan de Lurigancho, im Nordosten Limas, um. Dort schrauben, separieren und sammeln derzeit dreißig Mitarbeiter auf 3.000 Quadratmetern Rohstoffe, die in aller Regel exportiert werden. „In Peru selbst arbeiten wir nur mit einer Schmelze zusammen, die rund ein Dutzend Metalle voneinander trennen kann. Mehr als 90 Prozent unserer Reststoffe gehen ins Ausland.“ Hartplastik für 500 US-Dollar die Tonne in die USA, Computerteile nach Japan, und die Kupferkabel werden in China von den Kunststoffhüllen befreit und wieder in den Kreislauf eingespeist.

Die Banken zieren sich

Doch auch das soll sich bald ändern, denn Antonio Li will die Maschine besorgen, die die Kabel vollautomatisch vom Kunststoff befreit, und dann das Kupfer wieder an die Industrie verkaufen. Das ist ein Teil eines größeren Plans – der den Kauf eines größeren Grundstücks und den Ausbau der Anlagen beinhaltet, worüber derzeit mit den Banken verhandelt wird. Die zieren sich noch, denn Recycling ist in Peru immer noch Neuland. Das soll sich allerdings schnellstmöglich ändern, so Raúl Roca, Experte aus dem Umweltministerium. Das kooperiert eng mit dem Pionierbetrieb und heutigen Branchenprimus. Doch weitaus wichtiger ist die peruanische Entsorgungsrichtlinie, die seit Ende 2013 implementiert ist und dafür sorgt, dass die Zukunft von San Antonio Recycling rosig aussieht. „Früher haben wir den Elektroschrott gesammelt und aufgekauft. Heute sind die Unternehmen verpflichtet, ihren Müll fachgerecht entsorgen zu lassen, und so kommt der Müll nun zu uns“, erklärt Antonio Li lächelnd.

Das hat Folgen, denn auf dem Gelände stapeln sich Kühlschränke, Computer, Drucker und Drahtkörbe mit Kunststoffabfällen und unzählige Haufen mit Platinen aus Computern, Fernsehern oder Stereoanlagen – gebündelt, teilweise schon ausgeschlachtet und versandfertig. „Wir kommen kaum hinterher und uns fehlt zum Beispiel noch das Gerät, um die Kühlflüssigkeit aus den Geräten zu bergen. Erst dann können wir uns um die Kühlschränke dort oben kümmern“, sagt Antonio Li und deutet auf einen breiten Dachvorsprung. Dort stehen Dutzende von Kühlschränken aufgereiht wie auf einer Perlenkette.

Ausbau und Umzug, von Antonio Li mit Kosten von 3 Millionen US-Dollar veranschlagt, sind für Raúl Roca vom Umweltministerium nur folgerichtig. Nicht nur die Hersteller wie Xerox, LG oder Whirlpool sowie die Importeure, sondern auch der peruanische Staat liefern seit Mitte 2013 Altgeräte bei San Antonio Recycling und drei oder vier Konkurrenten ab. Dafür sorgt die Entsorgungsrichtlinie, die Mitte 2013 zwischen Ministerium, Herstellern, Importeuren und recycelnden Unternehmen ausgehandelt wurde. Die verpflichtet die Unternehmen und Importeure, ein Recycling-System aufzubauen, und dies führt dazu, dass das Familienunternehmen Li stetig wächst.

Dafür engagiert sich auch Jessica Li, die gemeinsam mit Bruder Antonio das Unternehmen leitet und nach außen vertritt. Gemeinsam mit Umweltingenieur Roca reist sie alle paar Monate in Städte wie Cusco, Trujillo oder Arequipa, um für das Recycling zu werben. Das läuft langsam an. In der 400.000-Einwohner-Stadt Cusco, wo Jessica Li Anfang September war, wurde eine Annahmestelle für Elektroschrott von Privathaushalten bei der Stadtverwaltung eingerichtet. Immerhin: Mehr als 20 Prozent der Computer und Drucker werden in Peru heute korrekt entsorgt – Tendenz steigend.