Oral History
: Vor dem Museum

Oral History aus den Anfängen der RAF

Vor dem Kreuzberg-Museum treffe ich meinen Lieblingsbuchhändler. Das ist jetzt kein großer Zufall, denn wir sind da verabredet. Allerdings im Museum zu einer Ausstellung, nicht vor dem Museum. Aber bei starken Rauchern kann man sich eigentlich gleich davor verabreden.

Er ist gerade im Gespräch vertieft mit einem kleinen Mann, bei dem mir Karl Mays „Wurzelsepp“ einfällt, aber nicht weil ich mich erinnern würde, was drin stand, sondern weil ein Porträt vorne auf dem Titel war. Oder Harry, aber bei dem weiß man inzwischen gar nicht mehr so genau, ob er einen Bart hat oder gerade keinen. Außerdem hat Harrys Bart, wenn er mal einen hat, keine zwei Spitzen. Dieser schon, das heißt, man kann mit jeder Hand einen Zipfel packen und dran ziehen. Mache ich aber nicht, obwohl der Bart dazu verführerisch einlädt. Wegen der Haarwucherungen erkennt man vom Gesicht nicht viel mehr als vom Zwerg in „Der Herr der Ringe“. Aber der hier ist nicht so mürrisch.

Er erzählt gerade, dass er mit „Jan“ und „Holger“ zusammen auf die Filmhochschule in Berlin gegangen sei. Einmal in der Woche kam auch „Ulrike“ von Hamburg angeflogen. Ganz in Schwarz. Sie saß in der letzten Reihe und habe dabei eine Kippe nach der anderen geraucht. Danach sei sie gleich wieder zurückgeflogen.

„Zu ihrem Klaus“, sagt er. „Röhl?“, frage ich, weil der Mann „zu ihrem Klaus“ so betont, als ob die beiden was miteinander gehabt hätten, dabei waren sie doch bloß verheiratet. Oral History aus den Anfängen der RAF. Davon hatte ich noch nie gehört. Und dann kriegt man das einfach so und ganz nebenbei erzählt. Andere hätten gleich die Geschichte der RAF komplett umgeschrieben, und hier läuft einem Geschichte aus erster Hand mitten in Kreuzberg über den Weg, ungebrochen, zugewuchert und mit Fahrrad. So was würde einem woanders nicht passieren.

KLAUS BITTERMANN