Ist dem Tier auch nichts geschehen?

KURZFILMTAGE OBERHAUSEN Eine Sonderreihe zu Erkenntnis und Ästhetik des Tierfilms

VON ISABELLA REICHER

Die Frage, welche Bilder wir uns im Kino von Tieren machen, hat gegenwärtig in der Filmwissenschaft Konjunktur. Auch die Kurzfilmtage in Oberhausen sind in ihrer 57. Ausgabe aufs Tier gekommen. Seltsame Schimären zierten als schwarzer Schattenriss Katalog und T-Shirts – in ihrer Vielgestaltigkeit dem Kurzfilm nicht ganz unähnlich.

„Das Kino der Tiere“ hieß die Sonderreihe. Elf Programme mit rund 90 Beiträgen hatten die Kuratoren, der Biologe Cord Riechelmann und der Filmemacher Marcel Schwierin, als Anschauungsmaterial zusammengetragen, um der Frage nachzugehen, was es mit dem Verhältnis von Tier und Kurzfilm auf sich hat. Das Verhältnis hat eine lange Geschichte, schließlich ist das Tier als Sujet und Studienobjekt bereits untrennbar mit vorfilmischen Formen verbunden: mit der Phasenfotografie von Eadweard Muybridge – der seine entsprechenden Untersuchungen mit Pferden begann – oder den Arbeiten von Étienne-Jules Marey und Georges Demeny. Tiere sind darin (wie in anderen Muybridge-Serien die nackten Menschen) einem wissenschaftlich-technischen Interesse unterworfen.

Die Wahrnehmungen, die das neue Medium bald in Großaufnahme, Zeitlupe, Zeitraffer oder mit Hilfe von allerhand Nach- und Umbauten „natürlicher“ Lebensräume ermöglichte, entwickelten aber auch ästhetische Qualitäten. Das wussten nicht zuletzt nachmalige Klassiker des Tierfilms, wie Jean Painlevé in seiner poetische Unterwasserstudie „L’Hippocampe“ („Das Seepferdchen“, 1933) oder Heinz Sielmann in seiner Spechtbeobachtung „Zimmerleute des Waldes“ (1954) für sich zu nutzen.

Schrei des Käfers

Stärker als um die Auseinandersetzung mit den Apparaturen, den Schauanordnungen oder mit der filmischen Form kreiste die Schau dann jedoch um den Aspekt, dass Filme über Tiere häufig viel (oder sogar mehr) über Menschen, die sie machen, erzählen, über die Gesellschaften, deren Erkenntnisinteressen und politischen Systeme: nicht immer so beklemmend eingeschrieben, wie in einem deutschen „Kulturfilm“ aus dem Jahr 1938, der für Zyklon B als effizientes Insektenbekämpfungsmittel wirbt; nicht immer so unfreiwillig komisch wie in einer vergleichenden US-Entwicklungsstudie aus den frühen Dreißigerjahren, in der die Reaktionen eines Schimpansen viel „natürlicher“ wirken als jene des gleichaltrigen, perfekt dressierten Babys neben ihm.

Im Einzelnen gab es viel Eindrückliches zu entdecken, den Schrei eines Käfers in Chen Sheinbergs Dreiminüter „Pirkus“ (1998) beispielsweise: Das in Großaufnahme auf dem Rücken liegende Insekt spannt seinen Körper immer wieder aufs Äußerste an und stößt dabei Laute aus, die einen erschauern lassen wie die Geräuschkulisse aus einem Horrorfilm. Im anschließenden Gespräch wurde der Filmemacher ausführlich über seine Behandlung des Käfers befragt. Das spiegelte ein Dilemma wider, dass die Frage nach filmischen Strategien gegenüber den inhaltlichen Aspekten oder moralischen Implikationen des Themas häufig in den Hintergrund rückte.

Die selektive Wahrnehmung, die solche Schwerpunktsetzungen anstoßen, führte so oder so dazu, dass man plötzlich auf der Leinwand in allen Festivalsektionen ganz deutlich Tiere sah: Etwa den Zitronenfalter im ersten Bild von „Atom“, in einem Forst, wo Andrée Korpys und Markus Löffler in der Folge die Frontstellung zwischen Castor-Gegnern und Polizisten als absurdes Theater inszenieren. Oder die gezeichneten Schweinchen im charmanten Animationsfilm „Wakaranai Buta“ von Wada Atsushi, die einen an das innige Verhältnis der Eipo in West-Neuguinea zu ihren Haustieren denken lässt, welches man gerade noch in dokumentarischen Aufnahmen des Verhaltensforschers Irenäus Eibl-Eibesfeldt sehen konnte.

Eine viel profanere Funktion erfüllte der „Rote Hahn“, mit dem die Filmhistorikerin Mariann Lewinsky ihre Show zum frühen Kino hatte: Das Wappentier der Pathé Frères hatte als Logo und „Wasserzeichen“, mit dem auch Kulissen markiert wurden, schlicht das Urheberrecht der französischen Filmpioniere zu wahren. Die Tiere, sie waren in Oberhausen anno 2011 einfach überall.