ausgehen und rumstehen
: Leider nur Champagner!

Es ist immer gut, das Wochenende mit einem Bildungserlebnis zu beginnen, und so folgte man am Freitagabend der Einladung der Wissenschaftsakademie in die Torstraße. Die Journalistin Anne Phillipi sollte das Seminar „Versuch einer Phänomenologie Paris Hiltons“ halten. Zuvor begrüßte Institutsleiter Rafael Horzon die zahlreich erschienenen Teilnehmer und wies eher nebenbei darauf hin, dass die Akademie in Zukunft den Namen des neuen Geldgebers „Rich“ tragen wird – eine Firma, für die auch Paris Hilton tätig ist. Dann wurde der bekannte Dosen-Prosecco „Rich“ verteilt.

Leider muss man befürchten, dass diese Öffnung zur Wirtschaft, Lehre und Forschung am Institut weiter verwässern wird. Denn nur so ist zu erklären, dass der Vortrag der sonst so eloquenten Journalistin etwas enttäuschend verlief. Da wurden die Grundthesen von Elias Canettis „Masse und Macht“ doch allzu sehr nach der Methode Holzhammer auf das Massenphänomen Paris Hiltons angewandt und mit Filmbeispielen aus Boulevardmagazinen ergänzt. So wurde Canettis These von der Macht, die gerne Gebäude zerstört, auf einen Parfümerie-Auftritt der Hotelerbin bezogen, bei dem Schaufensterscheiben zu Bruch gegangen waren.

Intellektuell etwas unterfordert stand man danach am frühen Abend auf der Torstraße und überlegte: „Was nun?“ Die Friedrichstraße soll ja angeblich der neue Hotspot werden. Also lag es nahe, schon einmal das Terrain zu sondieren. Als Treffpunkt bieten sich die Treppen des Friedrichstadtpalastes, vom Volksmund liebevoll „Busbahnhof Aserbaidschan“ genannt, an. Menschen aus aller Herren und Damen Länder gehen hier auf und ab, Wellnesstempel übertragen berühmte Massagen nach draußen. Aber da verlassen wir schon die alte Prachtstraße, um ein paar Stufen nach unten zum neuen In-Lokal „Grill Royal“ zu gehen. Wir bestellen Sekt auf Eis, worauf uns das freundliche Barpersonal informiert: Wir haben leider nur Champagner!

Die Fenster liegen nur knapp über dem Pegel der Spree und so entsteht, wenn man nach draußen schaut und gerade ein beleuchtetes Touristenboot vorbeifährt, etwa eine Sekunde lang ein ganz hübscher Moment. In Glasvitrinen hängen blutige Fleischstücke, zierliche Krautköpfe hat man ganz malerisch gestapelt. Daneben, in der leicht verräucherten offenen Showküche, ist emsiges Treiben der Grillköche zu verfolgen. An den Tischen sitzen eher prätentiöse Menschen aus der Mode-und Werbebranche, es werden zwar ständig Magnum-Champagnerflaschen entkorkt, aber die herrliche Champagner!!!- Stimmung vermisst man bei den anderen, und bei der eigenen, labberigen Weißweinschorle für 7!!! Euro will sie schon gar nicht aufkommen.

Nach so einem Ausgeherlebnis braucht man natürlich ein Gegengift, man muss irgendwo hin, wo es dunkel, laut und schäbig ist. „Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein!“, denken wir dann auch sofort, als wir endlich in den heimeligen Moder der 8 mm Bar eintauchen.

CHRISTIANE RÖSINGER