Angekratztes Talent

Als Silvana Koch-Mehrin 2004 ins Europaparlament einzog, galt sie als größter Trumpf von Guido Westerwelle. Blond, hübsch und nicht auf den Mund gefallen war die damals 34-Jährige Hoffnungsträgerin der Liberalen. Bei der Wahl des EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso gab sie reihenweise Interviews und empörte sich über dessen Versuch, mithilfe rechtsextremer Stimmen eine Mehrheit zu gewinnen. Die Journalisten waren entzückt, endlich hatten sie ein mutiges, junges Politiktalent entdeckt!

Doch die Freude hielt nicht lange an. Denn Koch-Mehrin ließ sich nach ihrer Wahl nicht mehr oft in Brüssel und Straßburg blicken. Lieber pflegte sie ihr Image mit bunten Homestorys in deutschen Illustrierten. Die mühsame Kleinarbeit im Parlament überließ sie ihren weniger bekannten FDP-Kollegen. Die Quittung ließ nicht lange auf sich warten: Bei der Wahl der Vizepräsidenten im Europaparlament 2009 erhielt „Silvana“, wie sie in Brüssel alle nennen, einen Denkzettel und kam erst im dritten Wahlgang ans Ziel.

Neben der SPD hätten auch viele Abgeordnete der CDU gegen Koch-Mehrin gestimmt, hieß es damals. Sie habe in den vergangenen Jahren einfach nicht genug im Parlament gearbeitet und sei für den Job des Vizes nicht qualifiziert. Koch-Mehrin hatte viele männliche Abgeordnete mit der Behauptung gegen sich aufgebracht, diese benutzten die Reise nach Straßburg regelmäßig für Bordellbesuche. Auch ihre Kampagne gegen den Standort Straßburg und ihre umstrittenen Fehlzeiten sorgten für Ärger.

Von ihrem Doktortitel war in all den Jahren selten die Rede. Im Gegensatz zu Exverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, dessen Täuschung sich inzwischen bestätigt hat, schmückte sich die Vorzeigeliberale selten mit akademischen Weihen. Auf ihrem Blog setzte sich die dreifache Mutter lieber mit Mutterschutz in der EU (bloß nicht ausweiten) und mit dem Thema Frauenquote (bitte auch in der FDP!) auseinander. Die Blog-Einträge enden übrigens am 6. April 2011, kurz vor Beginn der Plagiatsaffäre. Seitdem ist Koch-Mehrin wie vom Erdboden verschluckt. GERD STUBY

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