Explodierter Sternenstaub

LITERATURFESTIVAL 7 Jimi Tenor, ein Star der europäischen Elektromusik, bereiste mit drei finnischen AutorInnen das Weltall

Ein Abend der „kosmischen Extravaganz“ wurde im Haus der Berliner Festspiele versprochen, und dieses Versprechen wurde eingehalten. Jimi Tenor, einer der großen Stars und Erneuerer der europäischen Elektromusik, kuratierte einen finnischen Abend, mit dem das diesjährige Literaturfestival zu Ende ging.

Tenor – im blassrosa Anzug, mit langem blonden Haupthaar und großer Brille – hatte sich auf der Bühne zwischen einem Arbeitstisch mit allerlei Kästchen und einem antik wirkenden Keyboard eingerichtet. Während der von Programmchef Thomas Böhm gehaltenen Laudatio auf den Tonkünstler vergrub dieser sich bescheiden in seinen Gerätschaften, warf dann den Korg-Synthesizer an und ließ zum Auftakt des kosmischen Abends die in der elektronischen Musik so beliebten repetitiven Strukturen erklingen, wobei er zugleich seine silberne Querflöte bespielte. Dann wurden die finnischen Autoren vorgestellt, und Tenors Auswahl zeigte: Finnland mag das Gastland der nächsten Frankfurter Buchmesse sein, aber Space is the Place! Die Weiten des Universums, Außerirdische, der Kosmos an sich: Das waren Themen des Abends.

So geht es in der vierbändigen psychedelischen Weltall-Oper „Kapiteeni Shiva“ von Maria Candia alias Megatron Braineater im weitesten Sinn um einen „Mad Professor“, der die Welt erobern will, aber die Autorin nutzt die Möglichkeiten des Genres, um philosophische Fragen aufzuwerfen und Genderbelange zu diskutieren.

Bereits als Kind, erzählt sie, begann sie an dem vierbändigen Werk zu schreiben, als einziges dunkelhaariges Kind in einer finnischen Schule mit 899 blonden Kinder musste sie sich zwangsläufig für das Fremde interessieren. Ihre Erzählung führt in die Welt der Dunkelgänger, Traumerzähler, Sternenwanderer und der arg kohlenstoffzentrierten Sichtweise von uns Menschen.

Den zweiten Gast des Abends, einen schmalen jungen Mann mit der imposanten Vogelnestfrisur, hätte man auf den ersten Blick für einen Gothic-Novel-Autoren gehalten. Aber Syksy Räsänen ist Kosmologe an der Universität Helsinki und wahrscheinlich ein hochbegabter Physiker. Sein Vortrag über den Kosmos und seine Mitarbeit an einer Zirkusshow über das Universum endete mit dem bedenkenswerten Hinweis, dass alles, woraus wir Menschen bestehen, von explodierten Sternen herrührt.

Zum Schluss kam als Vertreterin des Genres „Finnish Weird“ Johanna Sinisalo auf die Bühne. Ihr Romandebüt „Ennen päivänlaskua ei voi“ (2000; dt. „Troll. Eine Liebesgeschichte“) wurde mit dem Finlandia-Literaturpreis ausgezeichnet.

„Finnish Weird“ ist eigentlich ein postmodernes Genre, das mit Versatzstücken anderer Genres arbeitet; ihm verpflichten sich Autoren, die nicht zur Abteilung Fantasy oder Science-Fiction zählen, auch wenn in bizarren Erzählsträngen von fantastischen Figuren, der nordischen Sagenwelt oder Außerirdischen berichtet wird.

Sinisalos neuer Roman „Finnisches Feuer“ beschreibt einen vaginalen Drogentest; das Ganze ist eine Parabel auf einen Überwachungsstaat, in der die oberste Staatsgewalt vom Gesundheitsamt ausgeübt wird. Ein feministischer Roman über weibliche Lebensentwürfe in einer männlich dominierten Gesellschaft.

Dieser kosmische Abend war auch ein überraschender Abend – danach müssen die gängigen Klischees von den Finnen als Saunafans, große Schweiger, gewissenhafte Wodkatrinker, kaurismäkische Melancholiker, designbegabte Elfenversteher und Tangoliebhaber zumindest um ein paar Zuschreibungen erweitert werden. CHRISTIANE RÖSINGER