SPD setzt Gabriel Grenzen

TTIP Auf dem Parteikonvent wollte die Partei mit Netzthemen punkten. Stattdessen streitet sie über die Freihandelsabkommen – und findet einen Kompromiss

„Damit hat der Konvent klar Flagge gezeigt“I

MATTHIAS MIERSCH, SPD

AUS BERLIN TOBIAS SCHULZE

Die SPD-Spitze hatte sich ihren Parteikonvent wohl anders ausgemalt: Als Netzpartei wollten sich die Sozialdemokraten am Samstag profilieren, als Erben der Piraten quasi. Ein hübsches Hashtag hatten sie dafür vorbereitet („#DigitalLEBEN“), einen Fahrplan zum digitalen Wandel und eine Grundsatzrede des Parteivorsitzenden,welche sogar per Livestream ins Internet übertrage wurde. Als einziger öffentlicher Programmpunkt der Veranstaltung, die normalerweise hinter verschlossenen Türen stattfindet. Dass ein anderes Thema die Digitalshow in den Hintergrund rücken wird, hatte sich jedoch schon unter der Woche abgezeichnet: Der parteiinterne Streit um die geplanten EU-Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) und Kanada (Ceta) bestimmte nicht nur die Tage vor dem Konvent.

Am Samstag selbst sorgte er dem Vernehmen nach für eine emotionale Debatte im Willy-Brandt-Haus, inklusive einer Abrechnung von Sigmar Gabriel mit seinen Kritikern.

Letztlich einigten sich die Sozialdemokraten auf einen Kompromiss. Die Gespräche über die Abkommen sollen zwar weitergehen, die SPD gibt Wirtschaftsminister Gabriel aber rote Linien mit in die Verhandlungen. Spezielle Schiedsgerichte, vor denen Konzerne Staaten auf Schadenersatz für entgangene Profite verklagen könnten, sind demnach „in jedem Fall abzulehnen“.

Einen entsprechenden Beschluss traf der Konvent mit lediglich sieben Gegenstimmen. „Damit hat der Konvent klar Flagge gezeigt“, sagte der umweltpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Matthias Miersch, der taz. „Entscheidend ist vor allem, dass die beschlossenen Maßgaben nicht nur für TTIP gelten, sondern auch für Ceta.“

Ceta, das Abkommen zwischen der EU und Kanada, ist bereits unterschriftsreif und beinhaltet Klauseln zu den umstrittenen Schiedsgerichten. Parteiinterne Kritiker des Wirtschaftsministers befürchteten zuletzt, dass dieser sich nicht entschieden genug für Nachverhandlungen einsetze und die Schiedsgerichte somit kaum noch zu verhindern seien – zumal das Abkommen mit Kanada als Blaupause für das mit den USA gilt. In den Tagen vor dem Konvent hatten daher mehrere Sozialdemokraten gegen ihren Parteichef rebelliert. Neben Miersch auch Parteivize Ralf Stegner und der Berliner Landeschef Jan Stöß, der in der taz gefordert hatte, das Abkommen müsse „mit harten Bedingungen nachverhandelt“ und im Zweifel abgelehnt werden.

Sigmar Gabriel zeigte sich im Anschluss an den Konvent verärgert über die Kritiker. „Ich will keinem zu nahetreten“, sagte er. „Aber ich vermute, dass viele, die sich in den letzten Tagen zu Wort gemeldet haben, gar nicht wissen, was im Koalitionsvertrag steht.“ Darin hatten SPD und Union vereinbart, „einen zügigen Abschluss“ der Freihandelsabkommen anzustreben. Hinter verschlossenen Türen wurde Gabriel noch deutlicher. Im Parteivorstand, der vor Beginn des Konvents getagt hatte, soll er seine Kritiker laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung direkt angegriffen haben. Seinen Parteivize Stegner habe er aufgefordert, zur Abwechslung doch einfach mal nichts zu sagen.

Stegner selbst nahm die Rüge vom Chef gelassen: „Das Ergebnis zählt“, sagte er. Zum Ergebnis zählt jedoch auch, dass angesichts der Freihandelsdebatte die Präsentation der Digitalstrategie tatsächlich unterging. Die 200 Konventsmitglieder segneten den Plan der Parteispitze weitgehend unbemerkt ab: Bis zum Parteitag 2015 soll ein digitales Grundsatzprogramm stehen. Mit dem Thema verbindet die SPD große Hoffnungen. Über die Netzpolitik möchte die SPD neue Wähler erreichen. Solche, die der Mindestlohn, die Rente mit 63 und andere klassische SPD-Themen nicht betreffen.

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