Wahnsinn und Wachstum

Wenn die Umwelt die Dividende zahlt: Beim Versorgungsriesen RWE wächst der CO2-Ausstoß immer mit

VON NIKOLAI FICHTNER
UND ANDREAS WYPUTTA

Wenn die Aktionäre von RWE heute Morgen zur Hauptversammlung in die Essener Grugahalle strömen, bekommen sie gleich zwei Geschäftsberichte in die Hand gedrückt. Beide zum Verwechseln ähnlich. Der Bericht der Konzernführung zeigt einen Kühlturm vor strahlend blauem Hintergrund. Dazu der Aufdruck: „Investition in Innovation und Wachstum“. Das Titelbild des zweiten Berichts scheint, als hätte jemand die Zoom-out-Taste gedrückt: Der Wasserdampf aus dem Kühlturm umhüllt den Planeten Erde, das satte Blau wird von weißgrauem Qualm verdrängt. Dazu der Aufdruck: „Investition in Ineffizienz und Wahnsinn.“ Wenn die Aktivisten der Umweltorganisation Urgewald heute ihren „Alternativen Geschäftsbericht“ verteilen, dürften sie die RWE-Konzernführung gehörig überraschen. Dass es zu Verwechslungen kommt, glaubt Regine Richter von Urgewald jedoch nicht – „jedenfalls nicht, wenn man in den Bericht reinguckt“.

Die meisten Aktionäre dürften jedoch bei bester Laune nach Essen reisen. Schließlich schlägt ihnen der RWE-Vorstand eine Dividende von 3,50 Euro zur Abstimmung vor, doppelt so viel wie noch vor einem Jahr. Für RWE war 2006 ein „besonders erfolgreiches Jahr“, schreibt Konzernchef Harry Roels im offiziellen Bericht an die „lieben Investoren und Freunde des Unternehmens“. Der Konzern steigerte seinen Gewinn 2006 um 14 Prozent – auch dank des Verkauf des britischen Wasserkonzerns Thames Water. Noch in diesem Jahr will sich das Unternehmen auch vom größten US-amerikanischen Wasserversorger American Water trennen (siehe unten). RWE konzentriert sich auf das Energiegeschäft. Roels kündigt den Aktionären dazu eine „Investitionsoffensive“ an, wie sie der Konzern noch nicht gesehen hat: „Wir wollen in den nächsten fünf Jahren bis zu 25 Milliarden Euro investieren.“ In Kraftwerke, Stromnetze, Pipelines. 700 Millionen Euro davon fließen in erneuerbare Energien.

Sehr viel mehr wird in neue Kohlekraftwerke investiert. „Wenn RWE von Wachstum spricht, dann wächst vor allem der CO2-Ausstoß“, stellt Urgewald fest. Besonders stören sich die Umweltschützer am neuen Braunkohle-Riesenkraftwerk, das derzeit in Neurath gebaut wird. Zwar wirbt der Konzern mit einer um 30-Prozent verbesserten CO2-Effizienz. Doch wenn Neurath 2010 in Betrieb geht, dürfte es mit 30 Millionen Tonnen Kohlendioxidausstoß zum negativen Spitzenreiter Europas werden.

Auch heute schon gehen 15 Prozent der Treibhausgase aus der europäischen Stromerzeugung auf das Konto von RWE. „Der Konzern hat sich damit den zweifelhaften Titel verdient, Europas Klimakiller Nummer 1 zu sein“, heißt es im alternativen Geschäftsbericht. Selbst vom Emissionshandel, der eigentlich das Klima schützen soll, profitiert der Energiekonzern. „Der größte Nutznießer des Emissionshandels ist RWE dank seiner Braunkohlekraftwerke“, so Urgewald. Für die besonders klimaschädigenden Kraftwerke gibt es besonders viele CO2-Zertifikate von der Bundesregierung geschenkt; verbucht werden sie jedoch als Kosten. „Der Strom wird teurer, die Verbraucher müssen mehr zahlen“, folgern die Umweltschützer.

RWEs Antwort auf zu viel Klimaschutz heißt Versorgungssicherheit. Natürlich sei er für erneuerbare Energien, mehr Effizienz und die Schonung des Klimas, schreibt Roels an seine Aktionäre – „aber bitte mit Augenmaß und ohne Dogma.“ Versorgungssicherheit ließe sich ohne den Einsatz von Kohle und Kernenergie in den nächsten Jahrzehnten nicht garantieren.

So plant der Energieerzeuger nicht nur neue Atomkraftwerke in Großbritannien. Auch das rumänische Kraftwerk Cernavoda an der erdbebengefährdeten rumänischen Schwarzmeerküste soll durch neue Reaktoren ausgebaut werden. Erst vergangene Woche kündigten die Essener an, die fünf Blöcke ihres Uralt-Kraftwerks Frimmersdorf in rheinischen Braunkohlerevier statt in diesem Jahr erst 2009 abschalten zu wollen. Auch gegen die von der Bundesregierung angekündigte Verschärfung des Kartellrechts zur Senkung der Strompreise kämpft Roels. Er droht mit einem Investitionsstopp.