Waffenbesitz ist vielen heilig

Auch die Politiker der Demokraten trauen sich kaum, das Recht des Waffentragens anzuzweifeln – das kostet Wählerstimmen

Hillary Clinton ist dafür, Waffenlizenzen nur noch gegen Personalausweis abzugeben

AUS WASHINGTON ADRIENNE WOLTERSDORF

Nach jedem Massaker hebt in den Vereinigten Staaten die Debatte über eine Verschärfung des Schusswaffenkontrollgesetzes an. Auch diesmal, nachdem ein Student am Montag mindestens 33 Menschen auf dem Campus der Technischen Universität in Blacksburg, Virginia, offenbar systematisch erschossen hatte. Doch das Weiße Haus machte gleich klar, wohin die Debatte nicht gehen soll. Präsident George W. Bush ließ wissen, dass Bürger ein „Recht haben, Waffen zu tragen“.

Der Zugang zu Waffen und der Umgang damit sind in den USA in Bundesgesetzen, Gesetzen der einzelnen Staaten sowie in kommunalen Vorschriften geregelt. In Ostküstenstaat Virginia ist es besonders leicht, an Waffen zu kommen. Dies monierten nach der Tat zahlreiche Organisationen, die sich für schärfere Waffengesetze engagieren. Wie in einigen anderen US-Staaten dürfen Virginias Bürger ihre Waffen offen tragen. Virginia ist das Synonym für die amerikanische Unabhängigkeit des Individuums. Dort kann man ohne Genehmigung und Registrierung Schusswaffen von Privatpersonen kaufen. In Schusswaffenläden genügt eine leicht erhältliche Lizenz. Die beiden großen US-amerikanischen Schusswaffenbesitzerverbände – die National Rifle Association (NRA), mit 4,2 Millionen Mitgliedern, und die Gun Owners of America – haben ihren Hauptsitz in Virginia.

Noch lockerer nehmen es nur noch die Einwohner Floridas: Wer sich dort bedroht fühlt, darf vermeintliche oder tatsächliche Einbrecher ohne Vorwarnung erschießen. Anders ist es in Kalifornien oder Illinois, dort regeln einigermaßen strenge Waffengesetze den Zugang zu Schießwaren aller Art.

Das „Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen“, wurde vor mehr als 200 Jahren im zweiten Zusatzartikel der Verfassung festgeschrieben. Das Prinzip galt lange unumstritten und ohne größere Einschränkungen. Erst das sogenannte Brady-Gesetz von 1994 verbot den Handel mit bestimmten Waffenarten und schreibt Fristen zwischen Kauf und Aushändigung von Waffen vor. Doch durch eine Unaufmerksamkeit der Gesetzgeber sind bestimmte Paragrafen des Brady-Gesetzes bereits ausgelaufen. Das Gesetz wurde nach dem beim Attentat auf US-Präsident Ronald Reagan 1981 schwer verwundeten Pressesprecher James Brady benannt.

Ebenfalls nach ihm benannt ist eine Organisation, die sich „Brady-Kampagne“ nennt und sich für Schusswaffenkontrolle einsetzt. Seit dem Massaker an der Columbine High School im Jahr 1999, bei dem 16 Menschen starben, hätten die USA aber „nichts getan, um Gewalttaten mit Schusswaffen zu stoppen“, kritisierte Paul Helmke, Präsident der Brady-Kampagne. Nach seinen Angaben sterben in den USA täglich mehr als 80 Menschen durch Waffengewalt. Rund 200 Millionen Schusswaffen seien in Privathänden, etwa ein Drittel davon Pistolen und Revolver.

Politiker aller Parteien äußerten sich am Montag zunächst entsetzt, doch so richtig vorpreschen mit der mühsamen Debatte wollte am Montag noch keiner von ihnen. Allen voran die Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen beließen es die politischen Repräsentanten des Landes zunächst einmal bei Trauerbekundungen. Und das aus gutem Grund: Das in der Verfassung verbürgte Recht auf Schusswaffenbesitz ist vielen US-Amerikanern heilig. Ein Blick in die Zitatensammlung liberaler US-Politiker zeigt, dass sich Demokraten trotz aller Studien und Analysen schwertun, dem Wählerwunsch nach Waffenbesitz eine Absage zu erteilen. Senatorin und Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton hat in der Vergangenheit diplomatisch den Antrag eines Parteikollegen unterstützt, der die Waffenlizenzen nur noch gegen Personalausweis abgeben wollte. Der afroamerikanische Präsidentschaftskandidat Barack Obama ist einer der wenigen, der sich konsequent gegen das Recht auf Waffenbesitz aussprach – allerdings nur in den Innenstädten der USA.

Eine Debatte um Waffenbesitz kann in den USA auch eine andere Richtung nehmen. Auf Blogs und in den Medien äußerten sich binnen Stunden zahlreiche Menschen, die der Ansicht sind, dass die Tragödie wohl nicht passiert wäre, hätten die Opfer selber Schusswaffen getragen. Auf dem Campus der TU von Virginia darf man keine Schusswaffen tragen. Das Massaker sei ein Beweis, meinten sie, dass diese Regelung gefährlich sei.