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Archiv-Artikel

„Mit uns wäre das nicht passiert“

Der Stuttgarter Grünen-Fraktionschef Kretschmann kritisiert die CDU, hält sich eine künftige Koalition aber offen

WINFRIED KRETSCHMANN, 58, ist seit 2002 Grünen-Fraktionschef im Stuttgarter Landtag.

taz: Herr Kretschmann, erst im vorigen Jahr haben Sie mit dem Ministerpräsidenten Oettinger über eine schwarz-grüne Koalition verhandelt. Hat sich diese Option erledigt?

Winfried Kretschmann: Die Frage steht nicht an. Wir sind in der Opposition, die Rolle erfüllen wir ohne Wenn und Aber.

Sind die Befürworter von Schwarz-Grün nun blamiert?

Es ist keine Frage, dass eine Koalition jetzt in weite Ferne gerückt ist. Sie steht aber schon wegen anderer Fragen nicht an, wie zum Beispiel der Laufzeit von Atomkraftwerken.

Sie stellen die Restlaufzeit für Neckarwestheim auf eine Stufe mit dem Verhältnis zur NS-Vergangenheit?

Eben nicht. Es muss jeden Demokraten tief beunruhigen, wie die CDU Baden-Württemberg mit der Filbinger-Debatte umgeht. Das ist katastrophal.

Oettinger ist nicht alleine?

Im Gegenteil. Wer den Rücktritt von Oettinger gefordert hat, der hätte eigentlich den Rücktritt der gesamten CDU fordern müssen. Es gab keinen einzigen Mandatsträger aus dem Land, der sich auch nur vorsichtig distanziert hätte.

Was muss geschehen, damit die CDU in Ihren Augen wieder koalitionsfähig wird?

Wir erwarten, dass die baden-württembergische CDU ihr Geschichtsbild endlich auf einen modernen Stand bringt. Die Partei ist durch Filbingers Rücktritt offenbar so schwer traumatisiert worden, dass sie dreißig Jahre nichts gelernt hat.

Wie stellen Sie sich das vor? Soll Herr Oettinger eine Historikerkommission einberufen?

Das Parlament. Die Bewertung der Geschichte ist Aufgabe der Wissenschaft, nicht der Politik.

Aber die historischen Fakten sind doch bekannt?

Eine Historikerkommission soll die Fakten auch bewerten. Was nützt es, wenn die Fakten bekannt sind – und die CDU sich darum nicht schert?

Wenn die CDU seit dreißig Jahren nichts gelernt hat – warum sollte sich das ändern?

Oettinger ist jetzt schwer beschädigt. Seine Äußerungen haben dem Ansehen des Landes sehr geschadet. Irgendwann muss eine Partei doch zur Vernunft kommen.

Damit Sie mit ihr koalieren können?

Als Opposition versuchen wir, möglichst viele Menschen von unserer Politik zu überzeugen und der CDU Wähler abspenstig zu machen. Aber es wäre Blödsinn zu sagen: Wir sind schon 25 Jahre in der Opposition, und dabei wird es in den nächsten 25 Jahren bleiben. Es ist unsere Aufgabe, an die Regierung zu kommen – um grüne Politik durchzusetzen, und solche katastrophalen Ausfälle würden wir auch verhindern.

In der Regierung hätten Sie Oettinger stoppen können?

Mit uns wäre das nicht passiert. Anderenfalls wäre die Koalition sofort beendet gewesen.

INTERVIEW: RALPH BOLLMANN