Schwer beschädigt


VON GEORG LÖWISCH

Angela Merkel und Günther Oettinger haben sich gestern in Stuttgart als alte Freunde vorgestellt. Einen Tag nachdem die Kanzlerin den baden-württembergischen Ministerpräsidenten gedemütigt hatte, traten die zwei bei einem Handwerkskongress in der Landeshauptstadt lächelnd vor die Kameras. Oettinger sagte: „Wir haben keine Krise. Die Debatte ist beendet.“

Der Ministerpräsident hatte am Montag eine Rom-Reise abgesagt und auf Druck Merkels in Berlin vor dem CDU-Präsidium seine Behauptung zurückgezogen, der verstorbene Ministerpräsident Hans Filbinger – während der Nazizeit Militärjurist – sei Gegner des Nationalsozialismus gewesen. Oettinger hatte sich entschuldigen müssen.

Sowohl SPD-Chef Kurt Beck als auch der Zentralrat der Juden gaben sich mit der Distanzierung zufrieden. Der Schriftsteller Rolf Hochhuth, der in den 70er-Jahren Filbingers Vergangenheit enthüllt hatte, sagte: „Damit ist die Sache abgehakt.“ Stephan Kramer, Generalsekretär des Zentralrats, nannte Oettingers Entschuldigung einen Beleg für die Abkehr von seiner Position. Die von ihm erhobene Rücktrittsforderung an Oettinger sei „damit vom Tisch“. Er kündigte an, der Zentralrat werde das Gesprächsangebot annehmen.

Dagegen fachte Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm in der CDU Streit an. Er warf der Kanzlerin wegen der Rüge für Oettinger parteischädigendes Verhalten vor: „Unsere Leute wollen sehen, ob wir auch noch zusammenstehen, wenn uns der Wind einmal stark ins Gesicht weht.“ Damit blieb er aber allein und wurde selbst von Parteifreunden attackiert, darunter der Chef seines Landesverbandes.

Ein CDU-Politiker aus Baden-Württemberg, der nicht genannt werden wollte, sagte gestern der taz: „Das Ding ist nach dem Total-Kotau erledigt.“ Nun könne nichts mehr nachkommen. Allerdings habe es starken Eindruck hinterlassen, dass die Kanzlerin Oettinger „brutalstmöglich“ ihre Macht demonstriert habe. „Noch ein Fehltritt und er ist weg.“ Ein zweiter CDU-Politiker aus Oettingers Heimat sagte, der Ministerpräsident sei „zu zwei Jahren auf Bewährung“ verurteilt. Im Landesverband werde befürchtet, dass er an Durchsetzungskraft verliere. Als Beispiel nannte er die Umgestaltung des Stuttgarter Hauptbahnhofes, die Stadt und Land mit Hilfe des Bundes und der Deutschen Bahn planen: „Wie will er das Projekt Stuttgart 21 ohne Merkels Rückendeckung durchboxen?“

In der Landes-CDU wird erwartet, dass Oettinger sein Staatsministerium nach dem verkorksten Krisenmanagement neu besetzt. Eine Gelegenheit dazu bietet sich demnächst: Den Chef der Regierungszentrale Rudolf Böhmler will Oettinger in den Vorstand der Bundesbank schicken. Dafür braucht er allerdings Unterstützung auf Bundesebene. Als möglicher neuer Chef des Staatsministeriums wird der ehemalige Tübinger Regierungspräsident Hubert Wicker genannt, seit kurzem oberster Beamter des Finanzministeriums. Es hieß, dann würden wohl auch andere Mitarbeiter ausgetauscht: „Er braucht einen Befreiungsschlag.“

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