In der Gewalt von Außerirdischen

Kurz vor Drehbeginn wurde das Skript bis zu zwei Mal komplett verworfen „Es geht denen nicht darum, uns zu töten, sie wollen nur unsere Angst“

AUS SPROCKHÖVEL HENK RAIJER

Bild 13 wird vorgezogen. Solange Karla noch in der Maske ist und zur bösen Jada aufgebrezelt wird, soll der Rest der Crew schon mal die nächste Szene drehen. „Was passiert denn in Bild 13“, will Dennis wissen. Der 16-Jährige mit dem weißen Käppi und der schwarzen Brille spielt Jake, einen der Guten. Erst als die Sprechprobe im vollem Gange ist, stellt er fest: „Da bin ich eh schon tot“, fläzt sich lässig auf dem Sofa im „Schneideraum“ und startet sein Privatkino auf dem Handy.

Im Jugendzentrum Sprockhövel drehen in diesen Tagen zehn Jugendliche unter Anleitung von Regisseur Christoph Böll ihren ersten Film, einen professionellen Gruselschocker, wenn‘s irgendwie geht. Subtiler Horror soll es werden, kein Splatterfilm mit Blutbad. „Die Jugendlichen sollen schließlich ihren eigenen Film auch sehen dürfen, wenn er fertig ist“, sagt der mehrfach prämierte Filmemacher mit einem knappen Lächeln. Anfang Juni dürften die Produktionsarbeiten zu „Space Splatter“ abgeschlossen sein, Premiere feiert der 20-minütige Film dann im Bochumer Union-Kino.

Warum ausgerechnet ein Gruselstreifen? Die Horror-AG sei die zäheste gewesen, erklärt Christoph Böll, der anlässlich der Sprockhöveler Jugendkulturtage im Mai 2005 angeboten hatte, mit Jugendlichen aus dem Landkreis einen Film ihrer Wahl zu drehen. Fast zwei Jahre haben Dennis, Christina, Karla und Co. durchgehalten, Komödie und Drama abgehängt und nach einer langen Durstzeit nun das notwendige Budget zur Verfügung, um ihren cineastischen Erstling in Angriff zu nehmen.

Acht Tage vor Beginn der ersten Aufnahmen hatte das Projekt noch keinen Cent, der Filmstiftung NRW war das Drehbuch zu dick und wohl noch zu unausgereift. „Trotzdem wollten wir den Film unbedingt machen“, erzählt Christoph Böll, der wie seine Kamerafrau, die Visagistin und der Beleuchter ohne Honorar arbeiten. Lokale Sponsoren wie etwa der Lions Club Sprockhövel sprangen in letzter Minute ein. Inzwischen können die Jungfilmer über einen Produktionszuschuss von rund 6.000 Euro verfügen. „Mit dem Geld können wir ein bisschen aufwändiger drehen“, sagt Böll, der für die Außenaufnahmen Drei-D-Animationen einsetzen wird, eine Technik, die der 57-jährige gebürtige Kölner erstmals für einen gerade fertig gestellten Auftragsfilm über Hightech-Zahnimplantate kennen gelernt hat.

Die Aussicht, ihren Streifen durch Drei-D-Animationen auf ein höheres Niveau zu heben, hat Dennis, Christina, Karla und die anderen dann so begeistert, dass sie kurz vor Drehbeginn bis zu zwei Mal ein komplett durchkomponiertes Skript verwarfen und den Drehbuchautor mit immer neuen Ideen und Textversatzstücken konfrontierten. „Der Enthusiasmus der Jugendlichen gibt dem Film seinen Halt“, sagt Christoph Böll, der nach einigen Durchgängen die Sprechprobe für beendet erklärt, aufsteht und seine Crew in den gänzlich mit Alufolie verhängten Nebenraum bittet: das Raumschiff, Ort der Handlung.

„Kamera läuft.“ Christoph Böll lehnt an der Wand in dem kleinen, blau ausgeleuchteten Raum und fordert die 15-jährige Christina Jurkait auf, zwischen ihre Textpassagen dramaturgische Pausen einzulegen und ihre Intonation zu variieren. „Überleg‘ doch, ihr steckt hier in einer absoluten Krisensituation, wisst nicht, wer nach Dennis Jadas nächstes Opfer sein wird“, erklärt der Filmemacher den fünf Darstellern, die sich in Szene 13 im Bauch der Bestie mit dem Topos Angst auseinandersetzen.

Außerirdische haben zehn Jugendliche aus dem Jugendzentrum Sprockhövel ins All entführt und spielen ihnen das Lied vom Tod. Jada verkörpert das Böse, sie soll die Guten würgen. Aber nicht um zu töten, sondern um Angst und Schrecken unter den Erdenbewohnern zu verbreiten. „Es geht denen nicht darum, uns zu töten“, erklärt Dennis Olbrich alias Jake, der sich für seinen Einsatz im nächsten Take gerade eine Kapsel mit Filmblut unter die Zunge steckt. „Jada labt sich geradezu an der Angst, bezieht daraus ihre Energie.“

Obwohl sich die Gruppe laut Dennis in der zweijährigen Anlaufphase vom pädagogischen Anspruch eines solchen Projekts weitgehend gelöst habe, sieht der 16-jährige Gymnasiast aus Sprockhövel die primäre Botschaft der Geschichte dennoch in der wachsenden Einsicht der Entführten, dass man der Einschüchterung nur durch Solidarität und Teamgeist begegnen kann. „Sie wollen nur unsere Angst“, spricht Jan Wosnitza (16), der den Sam spielt, gerade seiner Mitgefangenen Christina Jurkait Mut zu. Die hockt in der Schwerelosigkeit des Alls wie ihre Mitgefangenen doch eher lässig auf dem Boden des Raumschiffs. „Bist du dir da sicher?“ fragt ihn die 15-jährige Gymnasiastin mit den langen dunklen Locken und blickt dabei möglichst verzweifelt in die Kamera. „Nee“, antwortet der schlaksige Gesamtschüler, der dabei überlegen in die Runde blickt. „Aber es ist die einzige Theorie, die wir haben.“

Die böse Jada ist aus der Maske gekommen und wartet nun auf ihren Einsatz in Bild 7. Ihrer viktorianischen Frisur und wallender Gewänder wegen gehörte Karla Seinsche freilich eher auf den Set zu einem Kostümfilm aus der Zeit des französischen Sonnenkönigs Ludwig XIV. Raumschiffkompatibel muten bei der 14-Jährigen höchstens die grelle Schminke und die beiden von den Nasenflügeln bis an den Haaransatz hoch gezogenen, teuflischen Augenbrauen an. Die Mädchen sind baff, wollen auch so was, wollen ohnehin später für den Film entdeckt werden, wenn‘s denn geht. Die Jungs erhoffen sich den Erfolg, um beim nächsten Projekt in den Genuss der Filmförderung zu kommen. Aber noch ist der Erstling nicht im Kasten. Und bei der Nachbearbeitung am Schneidetisch beim Filmemacher zu Hause werden die Jugendlichen nicht mehr dabei sein. Böll: „Das ist mir dann doch zu anstrengend.“