Vom Besetzer zum Besitzer

WOHNPROJEKTE Alternative Wohnformen haben in Hamburg eine lange Geschichte. Das selbst gestaltete Zusammenwohnen wird für immer mehr Menschen interessant

Angesprochen von dieser Alternative fühlt sich längst nicht mehr nur die Avantgarde von einst: Vor allem für Familien mit Kindern und Senioren sind Wohnprojekte interessant

VON LENA KAISER

Mit Mehrgenerationen-Häusern und familienfreundlichen Wohnprojekten sind alternative Wohnformen längst salonfähig geworden. Bereitwillig greift der Wohnungsmarkt die Ideen seiner Gegenspieler auf. Verblasst und umgedeutet scheint die Alternative, deren Wurzeln im Häuserkampf liegen.

Im Kern geht es bei Wohnprojekten um ein selbst gestaltetes Zusammenleben. „Der Idee nach geht es darum, sich mit seinen künftigen Nachbarn bereits im Vorfeld zusammenzusetzen, um das gemeinsame Haus zu planen“, so der Geschäftsführer der Stadtentwicklungsgesellschaft Stattbau, Tobias Behrens. Die Planungsgemeinschaft bildet sich meist aufgrund von Lebenslagen und Freundschaften und entscheidet, wie Haus, Garten und Gemeinschaftsräume gestaltet werden sollen.

Das selbst gestaltete Wohnen und die nachbarschaftliche Organisation sind Themen, die breite Schichten der Bevölkerung interessieren. Als ein Geschäftszweig haben Wohnprojekte mittlerweile sogar Grossmann und Berger, den Immobilienmakler der Hamburger Sparkasse, erreicht. In einer eigenen Abteilung vermittelt der Makler Eigentumswohnungen zwischen großen Bauträgern und interessierten Käufern.

Ihren Ursprung haben Wohnprojekte in der Aneignung von Wohnraum im Häuserkampf. Seit Anfang der 1980er übernahmen Hausbesetzer leer stehende Gebäude. Um die besetzten Häuser zu legalisieren, gründete erst Berlin, dann Hamburg die Stadtentwicklungsgesellschaft Stattbau. Die sollte zwischen den Konfliktparteien vermitteln.

Heute unterstützt die Stattbau als Baubetreuer und Projektentwickler Gruppen, die nachbarschaftlich wohnen wollen. Mit den Hamburger Hafenstraßenhäusern wurde eines der letzten besetzten Häuser in eine Genossenschaft überführt. Angesprochen von dieser Alternative fühlt sich längst nicht mehr nur die Avantgarde von einst: Vor allem für Familien mit Kindern und Senioren sind Wohnprojekte als Lebensform interessant.

Das hat in Hamburg auch die Stadt begünstigt. Seit über 20 Jahren werden Wohnprojekte mit Darlehen der städtischen Wohnungsbaukreditanstalt gefördert. Dabei laufen sie über die normale Grundstücksvergabe der Stadt. Von rund 800.000 Wohnungen in Hamburg sind heute 8.000 Wohnprojekte, mit steigender Tendenz.

Mittlerweile konkurrieren immer mehr dieser Projekte um die raren Flächen, auch solche, die nicht mehr gemeinschaftlich von unten geplant werden. Beim Loksteder Gender Mainstreaming Quartier entwarfen nicht die Bewohner, sondern Stadtplaner und Architekten das Konzept. Gebaut werden hier 80 Eigentumswohnungen und 140 genossenschaftliche Mietwohnungen mit Mietpreisbindung.

Das Neubauviertel soll generationenübergreifend sein und Arbeiten und Wohnen miteinander kombinieren, um die Gleichberechtigung auch städtebaulich zu unterstützen. Weil Baugruppen für ihre Planung viel Zeit brauchen und oft scheitern, sieht die Architektin Alexandra Czerner die professionellen Planung im Vorteil.

Bei der Finanzierung müssen genossenschaftliche von eigentumsorientierten Wohnprojekten unterschieden werden. Bei der genossenschaftlichen Variante sind die Mitglieder Mieter. Weil die Gründung einer Genossenschaft aufwändig ist, schließen sich Projektgruppen oftmals einer Dachgenossenschaft an.

Zu den traditionellen in der Hansestadt stark vertretenen Genossenschaften haben sich seit Mitte der 1980er neue kleine Genossenschaften gesellt, um selbstverwaltete Wohnprojekte auf legalem Wege zu ermöglichen. Die größte ist die Wohnungsbaugenossenschaft Schanze mit rund 300 Wohnungen, die kleinste die Wohnungsbaugenossenschaft Königskinderweg mit sechs Wohnungen.

Die Kosten sind bei einer kleinen Genossenschaft verhältnismäßig hoch. Für die Anteile zahlt man hier 250 bis 300 Euro pro Quadratmeter, bei einer traditionellen Genossenschaft sind es nur 50 bis 100 Euro.

Weil es sich um geförderte Wohnungen handelt, liegt die Einstiegsmiete aktuell bei 5,80 Euro Nettokaltmiete pro Quadratmeter, bei den Baugemeinschaften kann diese aber auch je nach Einkommen bis zu sieben Euro höher liegen. Ohne städtische Förderdarlehen läge die Miete bei zwölf bis 14 Euro.

Für diejenigen, deren Einkommen über der Grenze der Wohnungsbauförderung liegt, gibt es Eigentumsprojekte, die sich an der Idee einer Baugemeinschaft orientieren. Ein Problem bei diesem Modell sieht Behrens darin, dass die gemeinschaftliche Idee eines Wohnprojekts unterwandert werden kann: Ein Verkauf muss nicht mit den anderen Hausbewohnern abgestimmt werden.

Wer als Gruppe bauen will, muss zunächst bei der Stadt anklopfen. Denn um an ein Grundstück zu kommen, müssen sich die Projektgruppen bei der Baubehörde auf eine Liste eintragen lassen. Wenn es eine Fläche gibt, werden die Grundstücke von der Agentur für Baugemeinschaften ausgeschrieben und an ein Wohnprojekt vergeben. Wichtig bei der Auswahl sind Kriterien wie energetische Standards, Anteil von Familien, die städtebauliche Qualität und das Finanzierungskonzept.

Für Stattbau-Leiter Behrens werden Wohnprojekte bei der Grundstücksvergabe noch viel zu wenig berücksichtigt. Während derzeit vier Grundstücke in der Ausschreibung sind, war es 2010 kein einziges.