Personal soll reden statt ausrasten

Nach den Mordfällen in der Charité setzt Klinikleitung verstärkt auf Frühwarnsystem. Auffälligkeiten können anonym per Computer weitergeleitet werden. Auch häufigere Teambesprechungen sollen Patiententötungen verhindern

Nach den Mordfällen auf der kardiologischen Intensivstation der Charité hat die Klinikleitung ihr Frühwarnsystem ausgebaut. Sprecherin Kerstin Endele sagte, man bringe ein „umfassendes Maßnahmenbündel zur Qualitätssicherung“ auf den Weg. Dazu gehörten wöchentliche Teambesprechungen, in denen über jeden Todesfall geredet werde, Supervision für und die Einführung des Online-Alarmsystems CIRS (Critical Incident Reporting System) in allen Charité-Kliniken.

CIRS ist ein anonymes Frühwarnsystem, das aus der Luftfahrt kommt: Jeder Mitarbeiter kann Auffälligkeiten an einen zentralen Computer-Briefkasten melden. Die Hinweise werden vom Qualitätsmanagement überprüft und gegebenenfalls an die Klinikleitung weitergeleitet. Missverständlich gekennzeichnete Infusionstropfe und andere Fehlerquellen, die im Klinikalltag zu Unfällen führen könnten, sollen so schnell und effizient behoben werden.

An der Charité wurde CIRS bereits 2001 eingeführt, doch bisher erst an einem Drittel der Stationen genutzt. An Station 104 i, an der Irene B. zwischen Juni 2005 und Oktober 2006 sechs Patienten mit einer Überdosis Blutdrucksenker getötet hatte, waren die Mitarbeiter in das System nicht eingewiesen.

Hätte eine rechtzeitige Einführung des Alarmsystems einen Teil der Morde verhindern können? Endele will sich zu Spekulationen nicht äußern: „Vor krimineller Energie können auch die umfangreichsten Maßnahmen keinen hundertprozentigen Schutz bieten.“

Den Zugang zu Medikamenten will die Charité nicht verschärfen. Das Medikament Nitroprussidnatrium (NPN), mit dem die Schwester tötete, ist ein Allerweltsmedikament, wie es literweise im Schwesternbereich der Stationen, auch in anderen Kliniken, frei zugänglich ist. Nur nachts sind die Schränke verschlossen. „Ist ein Mittel leer, wird nachgefüllt und fertig. Über den Verbrauch führt keiner Buch“, sagt ein Charité-Mitarbeiter. Abgerechnet wird vierteljährlich, da falle selbst die wiederholte hundertfache Dosierung eines Mittels, wie sie Irene B. praktizierte, nicht ins Gewicht. Dass sechs Tote und zwei Tötungsversuche auf einer Intensivstation überhaupt aufgefallen seien, wundert den Mann.

Beim Klinikgiganten Vivantes bemüht man sich, trotz der Größe der Stationen und des vielen Personals um eine möglichst vollständige Patientensicherung. Man habe ein gut funktionierendes internes Meldesystem, sagt Vivantes-Pressesprecher Uwe Dolderer. „Jedem Vorkommnis wird nachgegangen und bei Verdacht auf Unregelmäßigkeiten ein Prüfungsverfahren eingeleitet.“ Einige Vivantes-Kliniken nutzen CIRS, andere, wie die Kinderkliniken, tauschen sich über ein Netzwerk mit anderen Einrichtungen aus.

Mehr Pflege für die Pflegenden fordert Thomas Schindler von der Deutschen Palliativgesellschaft. „Besonders Menschen, die mit Schwerstkranken arbeiten, brauchen Gespräche und einen Raum der Reflexion über das, was sie tun“, sagt er. „In vielen Kliniken nimmt man sich nicht die Zeit dafür“. NINA APIN