MACHEN, WAS DIE RTL-BACHELORS AUCH MACHEN. HELENE FISCHER, HAFTBEFEHL UND HEINZ RUDOLF KUNZE AUFLEGEN. UND: BITTE, LIEBE TINDER-FRAUEN, ÄNDERT EURE PROFILBILDER
: Auf der anderen Seite des DJ-Pults

VON JURI STERNBURG

Es ist passiert. Endlich, nach jahrelangem Herumdrücken auf dem Spielplatz des gemeinen Pöbels, auch Dancefloor genannt, habe ich auf die andere Seite des DJ-Pults rübergemacht. Der Ort, an dem dem Dienstleister Wodkaflaschen vom Personal in Eiskübeln kredenzt werden und man immer mal wieder an irgendwelchen überflüssigen Reglern dreht, um den Anwesenden zu suggerieren, es wäre auch nur ansatzweise kompliziert, dieses 400 Euro teure DJ-Programm auf seinem Laptop zu bedienen.

Was Naddel, Giulia Siegel und alle RTL-Bachelors können, das krieg ich auch noch hin. Und wir reden hier nicht davon, zu viel billigen Sekt zu schlucken. Der Plattenteller wird nur genutzt, um den darauf stehenden Aschenbecher per Knopfdruck besonders lässig in die gerade gewünschte Position zu drehen, einmal locker abgeascht, Kippe in den Mundwinkel und wieder einen Regler hochgezogen, bevor man den „Synchronisieren“-Knopf auf dem Laptop drückt.

All das geschah im NBI-Club in Mitte, die Spiegelwand verpasste dem Ganzen den letzten Schliff. Meine Playlist umfasste die Großen des deutschen Musikbusiness, von Helene Fischer bis Haftbefehl war so gut wie alles dabei, und auch wenn mein Herrschaftsbereich nicht mal auf einer minimalen Anhöhe angesiedelt war, fühlte man sich automatisch überlegen.

Gerade, wenn dann zur Verwunderung des DJs auch noch ausgiebig getanzt wird. Unnötig zu erwähnen, dass so ein Job weitaus amouröser ist als 20 Tinder-Dates. Tinder ist eine beliebte Smartphone-Dating-App, auf der einem potenzielle Partner in einem selbst festgelegten Radius angezeigt werden. Man drückt dann bei den angezeigten Fotos entweder ein rotes X oder ein grünes Häkchen. Fertig.

Ich kann leider nicht für die Damen sprechen, da mir keine männlichen Singles angezeigt werden. Und ich glaube sogar, dass diese sich weitaus schlimmere Verfehlungen leisten, aber wo wir schon mal dabei sind: Liebe Tinder-Frauen, bitte hört auf, Fotos von Treffen mit euren Freundinnen als Profilbild zu nutzen. Man weiß dann nämlich nie, welche von denen ihr seid. Dann lieber die Tinder-All-Time-Favourites: Mit zerlaufener Schwarz-Rot-Gold-Schminke und Deutschland-Trikot auf der Fanmeile. Voller Farbe bei einem Holy-Festival in Neustrelitz oder mit Duckface und Peace-Zeichen vor dem Holocaust-Mahnmal. All das ist besser als sechs grinsende Mädchen im Dirndl oder auf einem Club-Sofa. Glaubt mir.

Und bei All-Time-Favourites sind wir auch schon wieder im NBI-Club. Ich bin inzwischen zu den Größen der 80er vorgestoßen, Kim Wilde meets Heinz Rudolf Kunze. Würde es nach mir gehen, würde hier fast ausschließlich deutscher HipHop laufen, aber erstens tanzt es sich zu diesem eher semigut und zweitens bin ich ganz offensichtlich ein DJ zweiter Klasse, ich habe mir von der Veranstalterin nämlich vorher eine Liste geben lassen, auf der 15 Titel vermerkt sind, die laufen müssen.

Zum Glück weiß das hier niemand und endlich sind die Songs abgehakt. Jetzt folgt ein Rap-Klassiker dem nächsten, und siehe da: Die Tanzfläche bleibt voll. Das Selbstbewusstsein steigt, der Wodka wird ab jetzt aus der Flasche getrunken, und wenn Platz dafür wäre, würde ich an geeigneter Stelle sicher eine kurze Pirouette drehen. Ich bin also bereit für epische Battles mit anderen Größen des Turntablism wie DJ Dosenpfand oder dieser merkwürdigen Frau aus Sachsen, die oben ohne auflegt. Hey DJ, rock on.