die taz vor 15 jahren über die raf und alte feindbilder
:

Pragmatismus ist in der Debatte um den Anfang vom Ende der RAF augenscheinlich keine Stärke der Sozialdemokratie. SPD-Politiker wie der Innenpolitik-Experte Wilfried Penner werden wieder einmal von der Angst eingeholt, sie könnten vom politischen Gegner als vaterlandslose Gesellen, als rechtspolitische Weichlinge oder als Helfershelfer von Terroristen denunziert werden. […]

Die SPD muß sich dabei fragen lassen, ob sie die Gunst der Stunde erkannt hat, und wenn ja, ob sie gewillt ist, nach mehr als 20 Jahren politisch motiviertem Extremismus einen Beitrag zu dessen Ende zu leisten. Wer heute gegen eine Sonderbehandlung der RAF-Gefangenen polemisiert, verkennt, daß es der Staat war, der seit Anfang der 70er Jahre versuchte, dem Phänomen RAF mit einer „Sonderbehandlung“ — einem immensen Ausbau des Sicherheitsapparates, unzähligen Strafrechtsverschärfungen und nicht zuletzt mit Sonderhaftbedingungen für inhaftierte RAF-Mitglieder — beizukommen. Gerade zu Zeiten der sozialliberalen Koalition drehte der Staat an der Eskalationsspirale. Versuche einer politischen Lösung, wie sie sich jetzt andeutet, sind in den vergangenen Jahren immer wieder auch am Widerstand der überwiegenden Mehrheit in der SPD gescheitert.

Die Ausblendung der eigenen Rolle beim Krieg der 60 gegen die 60 Millionen wird um so offensichtlicher, als sich das, was heute von der SPD als schädliche Sonderbehandlung bezeichnet wird, bei genauerem Hinsehen als Versuch einer Gleichbehandlung erweist — als Ansinnen, auch bei den Gefangenen der RAF den Maßstab geltender Rechtsbestimmungen des Strafvollzugs anzulegen. Die RAF rüstet ab, die SPD konserviert Feindbilder. Wolfgang Gast, 19. 4. 1992