Mord minutiös geplant

Auch zwei Tage nach der Bluttat von Blacksburg rätseln Ermittler und Kommilitonen über die Motive des Amokläufers. Polizei weiter in der Kritik

AUS WASHINGTON ADRIENNE WOLTERSDORF

Die Polizei ließ sich Zeit, bis sie die Identität des Massenmörders von Blacksburg, Virginia enthüllte, der am Montag 32 Menschen und sich selbst auf dem Campus der Technischen Universität erschossen hatte.

Ersten am Dienstag veröffentlichten Erkenntnissen zufolge handelte es sich bei Cho Seung Hui, einem Englisch-Studenten, nicht um einen klassischen Amokläufer, der einem plötzlichen Impuls folgend ausrastete. Vielmehr schien der aus Südkorea stammende 23 Jahre alte Mann seine Tat minutiös geplant zu haben. Am vergangenen Freitag habe sich Cho die Neun-Millimeter-Pistole gekauft, die er bei seinem Blutbad benutzte, berichteten US-Medien. Wenig später habe er sich eine 22-Millimeter-Waffe zugelegt.

Offensichtlich habe Cho am Montagmorgen zunächst in seinem Wohnheim zwei Menschen erschossen und sei dann in sein Zimmer zurückgekehrt, wo er sich neu bewaffnete und das Schreiben zurückließ, aus dem die Polizei nach seinen Motiven forschte. Danach sei er in das rund 800 Meter entfernt gelegene Unterrichtsgebäude gegangen und habe dort das Blutbad angerichtet.

Der Vizepräsident der Universität, Larry Hincker, beschrieb Cho als „Einzelgänger“, über den nicht viel bekannt sei. In seinem mehrseitigen mit Schimpfwörtern durchsetzten Schreiben habe Cho seine Kommilitonen als „reiche Kinder“ und „betrügerische Scharlatane“ beschimpft, berichteten US-Medien.

Offenbar habe es aber durchaus Warnzeichen gegeben, dass Cho psychische Probleme hatte: Mitstudierende sagten Ermittlern, er habe in letzter Zeit „aggressiv und verwirrt“ gewirkt, habe Frauen nachgestellt und in einem Wohnheim Feuer gelegt. Cho war als Achtjähriger mit seinen Eltern aus Südkorea in die USA gekommen.

Eine Mitstudentin sagte, Cho habe in Schreibworkshops blutrünstige Dramen verfasst. Die Stücke, längst auf verschiedenen Seiten im Internet nachzulesen, hätten in Kontrast zu seinem verschlossenen Wesen gestanden, sagte Stephanie Derry der Campus-Zeitung. „Sein Schreibstil, die Stücke, waren wirklich morbide und grotesk.“

Auch die Dozentin von Chos Poesiekurs war beunruhigt. Sie habe ihn bereits im Oktober 2005 als „mit Problemen belastet“ beschrieben und an den psychologischen Dienst verwiesen. „Er hat Anlass zur Sorge gegeben“, sagte Lucinda Roy, die Dozentin. Die Universität habe für ein Eingreifen aber keine rechtliche Handhabe gesehen.

An der Trauerfeier, die am Dienstag auf dem Campus der TU stattfand, nahmen auch US-Präsident George W. Bush und seine Frau Laura teil. „Es ist ein Tag der Trauer für die Virginia Tech, und es ist ein Tag der Traurigkeit für das ganze Land“, sagte Bush.

Die bereits am Montag laut gewordenen Kritik an der Campus-Polizei wuchs am Dienstag weiter an. Der Gouverneur des Bundesstaates Virginia ordnete eine Untersuchung an.