Erste Schritte einer Bewegung

UN-KLIMAGIPFEL Viele der Hunderttausenden, die am Sonntag in New York einen radikalen Wandel der Energie- und Klimapolitik forderten, sind zu Hause einsame StreiterInnen

■ Der Klimagipfel am 23. September in New York ist ein Sondergipfel der Vereinten Nationen einen Tag vor Beginn der UN-Generalversammlung (siehe Seite 11) und nicht zu verwechseln mit der UN-Klimakonferenz COP20 im Dezember in Lima. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird nicht vor Ort sein. Sie folgt stattdessen einer Einladung des Bundesverbands der Deutschen Industrie. Deutschland wird vertreten von Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD).

AUS NEW YORK DOROTHEA HAHN

„Demonstriert jetzt – oder schwimmt später“, hat eine junge Frau auf ihr Transparent geschrieben. Mehr als 300.000, nach anderen Zählungen sogar 400.000 Menschen aus allen Teilen der USA haben sich am Sonntag für die erste Variante entschieden und sind nach New York gekommen. Das Kampagnennetzwerk Avaaz hatte vor dem UN-Klimagipfel 2014, der am Dienstag ebenfalls in Big Apple stattfindet, weltweit zum „People’s Climate March“ aufgerufen.

Die Menschen, die hier auf die Straße gehen, wollen die Erhitzung des Planeten aufhalten. Sie wenden sich gegen Fracking, gegen Kohleförderung und gegen Atomkraft. Sie verlangen nach Sonnen- und Windenergie. Und sie fordern Taten von den Vereinten Nationen. Der Erfolg übertrifft sämtliche Erwartungen. Die OrganisatorInnen hatten auf 100.000 Menschen gehofft – so viele wie vor fünf Jahren beim Klimagipfel in Kopenhagen.

Dabei sind TeilnehmerInnen aus allen Generationen, Landes- und allen Bevölkerungsteilen. Auch Prominente wie Leonardo DiCaprio und Sting, die mit indianischen Gegnerinnen der Teersand-Ölförderung unterwegs sind, und ein paar PolitikerInnen wie UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, Exvizepräsident Al Gore und die deutsche Umweltministerin Barbara Hendricks laufen ein Stück weit mit.

Am desillusioniertesten sind die ganz Jungen. Ob sie sich von ihrem Präsidenten Barack Obama klimapolitisch repräsentiert fühlen? „No“, sagt die 20-jährige Studentin Jess Moore aus Missoula in Montana. Jeden Tag rollen 32 Kohlezüge mitten durch ihre Stadt und bringen den fossilen Brennstoff, der das Klima massiv belastet, in die Häfen an der Westküste.

Manche Ältere sind nuancierter. „Obama vertritt mich zu 50 Prozent“, meint der 77-jährige Eugene Buryfkim aus Wisconsin. Der kanadische Premierminister Stephen Harper sei offenbar „noch schlimmer“ als die US-Spitze. Der Kongress mache es Obama schwer, sagt der aus Akron in Ohio angereiste 31-jährige Polizist Isa Muhammad. Auch andere sind enttäuscht über ihre gewählte Vertretung: „Ich konnte mir keinen Politiker leisten. Also habe ich dieses Transparent gekauft“, steht auf einem Spruchband.

Viele haben ihre erste Klimakatastrophe bereits erlebt. „Erinnert euch an ‚Sandy‘!“, warnt ein New Yorker. Immer noch sind nicht alle Schäden repariert, die der Hurrikan 2012 verursacht hat. „Sandy“ gilt als Vorgeschmack darauf, was anderen Küstenregionen droht.

„Erinnert euch an Hurrikan ‚Sandy‘!“

DEMOTRANSPARENT

Die Hunderttausenden in Manhattan stehen in krassem Kontrast zu dem einsamen Alltag vieler UmweltschützerInnen in ihren Heimatstaaten. Der 25-jährige Tyler Offerman und die 19-jährige Noelle Wollery etwa erleben in Kentucky, wie sowohl RepublikanerInnen als auch DemokratInnen bei den anstehenden Halbzeitwahlen die Kohleförderung und die Ölpipeline Keystone XL verteidigen.

Es ist die erste Demonstration der Umweltbewegung in den USA, in der es um alles geht: von der Atombombe bis zu den Privatisierungen, von den Ölpipelines bis hin zur Eisschmelze. „Eine Chance, uns zusammenzufinden“, nennen manche diese Vielfalt. Andere sehen darin „die Gefahr, uns zu verlieren“.

„Der Kapitalismus ist die Wurzel des Problems“, erklärt Raul Vazquez. Der 32-jährige Sozialarbeiter ist aus Puerto Rico angereist. Er setzt auf „kämpfen“ und auf „Präsenz zeigen“. Antikapitalismus zieht sich quer durch die große Demonstration. Aber gemeinsame Forderungen, die über eine Kritik an der Klimapolitik der UNO hinausgehen, fehlen. Die DemonstrantInnen spüren, dass ihre Bewegung erst am Anfang steht.

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