BERND KRAMERS BEERDIGUNG
: Bierflaschen am Grab

Thomas Kapielski ist der Einzige, der sich bekreuzigt

Schon wieder einer weniger. Diesmal hat es Bernd Kramer erwischt, der sich in seiner äußeren Erscheinung an der Mode aus dem vorletzten Jahrhundert orientierte und mit seinem Bart und seinen Haaren Bakunin und Marx Konkurrenz gemacht hätte. In der Kapelle des Luisenstädtischen Friedhofs an der Hermannstraße muss jeder, der etwas über Bernd Kramer sagen will, ein „Statement“ abgeben, wer er ist. Der Künstler, Galerist und Nasenflötist Klaus Theuerkauf bietet mir seinen Flachmann an. „Whiskey?“, frage ich. „Nö, Cognac. Whiskey trink ich schon seit zwanzig Jahren nicht mehr.“ Ich trinke schon seit zwanzig Jahren keinen Cognac mehr. Es ist an der Zeit, mit diesem Prinzip zu brechen.

Nach den „Statements“ laufen die Anarchisten orientierungslos herum. Ein paar hören den Nasenflöten bei der etwas laschen Version von „Anarchy in the U.K.“ zu. Die Anarchisten versenken auffällig viele Bierflaschen in das Grab, einer auch eine Zeitung. Hoffentlich nicht die von Bernd Kramer früher mal herausgegebene Linkeck. Also mich würde das nerven, wenn ich im Jenseits mein eigenes Zeug lesen müsste. Thomas Kapielski ist der Einzige, der sich am Grab bekreuzigt. Klaus Theuerkauf schüttet etwas Cognac aus seinem Flachmann ins Grab. Dann taucht hinter mir ein älterer Herr mit Sandalen, quergestreiftem Rock, langen grauen Haaren mit Stirnband, einem hellblauen Rucksack auf dem Rücken und einem roten Seitentäschchen auf und redet wirr, indem er Bakunin, Kant, Schwitters und andere zitiert, was mir aber nichts sagt. Es tritt ein Barde auf mit Gitarre und singt ein Lied, dessen Text leicht zu merken ist, denn es besteht nur aus einem Wort: „Freiheit“, was ein wenig eintönig gewesen wäre, wäre der ältere Herr nicht gewesen. „Halt die Fresse“, sagt schließlich Klaus Theuerkauf. Das hört man auch nicht so häufig auf einer Beerdigung. KLAUS BITTERMANN