„Mensch, Horst!“

Horst Schimanski muss seit 25 Jahren als Role Model für Machotum und Ruhrgebiets-Mentalität herhalten. Am Sonntag (20.15 Uhr, ARD) löst „Schimmi“ seinen 44. Fall. Zeit für eine Entmythisierung

Der  Duisburg-Mythos: Eine Umsiedelung nach München wäre undenkbar Der Macho-Mythos: Zum echten Macho fehlt Schimanski oft die Frau

VON MICHAEL AUST

Der Parka ist schon von weitem zu erkennen, als das Schiff näher kommt, auch der Schnauzer. Götz George, 68, posiert breitbeinig am Bug des Polizeischiffs „Ruhrort“, die Hände erhoben wie Leonardo Di Caprio in „Titanic“, während das begleitende Feuerwehrboot „Duisburg“ dramatische Wasserfontänen sprüht. Ein bisschen peinlich war es schon, was der WDR da vor einigen Wochen im Duisburger Hafen veranstaltete. Aber der Fototermin diente einem höheren Marketing-Zweck: Fernsehkommissar Horst Schimanski feiert dieser Tage sein 25-jähriges Dienstjubiläum. Da darf die „King of the world“-Geste natürlich nicht fehlen.

Keine deutsche Fernsehfigur der letzten Jahrzehnte ist derart symbolisch aufgeladen wie der Duisburger Schmuddelbulle Schimanski. Kein „Tatort“- Ermittler wurde so oft herbeizitiert, wenn es darum ging, ein Verhalten, einen Typ Mann, eine Region zu benennen. Schimmi hat Bindestrich-Status. „Schimanski-Methoden gibt’s nur im Fernsehen“, sagte Justizministerin Brigitte Zypries in der Zeit auf die Frage, ob man Verdächtige foltern darf. „Ein bisschen nervt seine Horst-Schimanski-Mentalität, nur ohne Schimanski-Jacke“, schrieb der Spiegel über Hard-Talker Frank Plasberg. Der Bindestrich ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass jemand zum Role Model geworden ist. Ein anderes ist der „Der von“-Adel: „Der Schimanski vom Main“ nennt die Süddeutsche Zeitung Detektiv-Darsteller Claus Theo Gärtner. Und für die Bunte ist Obermacho Rudi Assauer „Der Schimanski von Schalke“.

Dabei ist diese Schimanski-Wahrnehmung extrem verkürzt. Die Figur war immer schon mehr als der harte Ruhrpott-Prolet, als die sie wahrgenommen wird. Das sieht man in keiner Folge besser als in der neuesten. Am Sonntag hat Schimanski, verkörpert von Götz George, seinen 44. Fall zu lösen. „Tod in der Siedlung“ heißt der Film zum Schimanski-Jubiläum. Zeit, mit einigen Mythen über die Figur aufzuräumen.

Zu Schimanski gehört sein Einsatzgebiet wie zu keinem anderen „Tatort“-Ermittler. Während etwa Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) sowohl in Düsseldorf als auch in Köln ermitteln konnte und Maria Furtwängler als Hauptkommissarin Charlotte Lindholm von einem niedersächsischen Provinznest zum anderen berufswandelt, wäre bei Schimanski eine Umsiedelung – sagen wir nach München – schwer vorstellbar. Von Anfang an spielte der Schauplatz eine Hauptrolle im Konzept Schimanski. „Duisburg-Ruhrort“ hieß der erste Schimanski-„Tatort“ von 1981. Dass die Umbruchregion Duisburg in den Mittelpunkt einer Fernsehserie gerückt wurde, ist Schimanski geschuldet – wie das geschah, allerdings auch.

Josef Krings nennt den Ort, an dem die Schimmi-Krimis spielten, nur „Schimanski-Land“. Wie vielen Duisburgern gefiel dem ehemaligen Oberbürgermeister das Bild mit den brennenden Mülltonnen, das die Schimanski-„Tatorte“ von Duisburg zeichneten, zunächst ganz und gar nicht. Nicht nur, weil es eine Stadt im akuten Verwahrlosungszustand zeigte, sondern vor allem, weil es nicht Duisburg war. „Ich bin oft auf die Nachtlokale angesprochen worden“, erzählt Krings. „Die waren aber gar nicht hier, sondern in den Bavaria-Studios in München.“ Zu den Drehorten der Schimanski-„Tatorte“ zählte in den 80ern auch oft die Hubertusstraße in Duisburg-Bruckhausen, eine Zeile leerer und verfallener Mietshäuser vor der Kulisse eines Stahlwerks. Die Duisburger Verwaltungsangestellte Gabi Jaspers inspizierte damals aus beruflichen Gründen diese Gegend und fand eines Tages die verlassene Straße als Müllkippe vor – und bestellte die Müllabfuhr. Ein Fehler, denn der Müll gehörte nicht zur Stadt, sondern zu Schimanski-Land. Eine Filmcrew hatte ihn zuvor liebevoll aufgeschichtet.

Viel öfter dreht die Produktionsfirma Colonia Media, die „Schimanski“ von Anfang an produziert, allerdings vor der eigenen Haustür in Köln. Oder in München: Als Ende der 80er die Einschaltquoten immer schlechter und die Drehbücher immer abstruser wurden, sprachen immer mehr Nebendarsteller mit bayrischem Akzent. Wie die Schrottplätze, auf denen Schimanski sich prügelte, stammten auch die Statisten meist aus Oberbayern. Und noch beim neuen „Schimanski“-Film „Tod in der Siedlung“ wird immer noch mehr Schimanski-Land gezeigt als der Ruhrpott. Wie sonst ist zu erklären, dass in einem Krimi, der im Multikulti-Stadtteil Duisburg-Marxloh spielt, kein einziger Ausländer auftaucht?

Schimanski-Land ist ein Mythos, aber einer, mit dem sich der Ruhrpott inzwischen versöhnt hat. „Der Typ, den sich ein paar Leute in München bei der Bavaria-Filmproduktion ausgedacht hatten und der von einem Berliner Schauspieler verkörpert wurde, traf die Menschen im Revier mitten ins Herz“, schrieb die Ruhrgebiets-Gazette Marabo versöhnlich über die Identifikationsfigur Schimmi. Und auch Josef Krings sieht heute – nach Jahren der Schimanski-Opposition – eher die Marketing-Potenziale der Figur. „Ich habe Götz George im Arbeitskampf in Rheinhausen erlebt, als er an der Seite der streikenden Arbeiter stand. Sich mit einer Stadt zu identifizieren, die mitten im Umbruch war, das war sympathisch.“

Am Anfang des Krawallo-Mythos steht ein Ei. In der Eingangsszene von „Duisburg-Ruhrort“ sucht Schimanski seine verdreckte Wohnung nach etwas Essbarem ab. Er findet ein Ei, schlägt es sich roh in ein Glas und trinkt die wabbelige Masse auf ex. Eine Szene mit Symbolcharakter: Entweder man mag es roh oder nicht. 20 Jahre vor Anti-Terror-Kämpfer Jack Bauer aus der US-Serie „24“ gab es mit Schimanski einen Polizisten, der Regeln und Knochen bricht im Kampf für das Gute. Das war neu im deutschen Krimi, in dem die Kommissare Trenchcoat trugen und vorzugsweise in München-Grünwald ermittelten.

Entsprechend viel wurde geschrieben über die harte Schale des Prügel-Proleten. Die Bild-Zeitung entschied sich nach Ansicht von „Duisburg-Ruhrort“ fürs Auskotzen und schrieb: „Der Ruhrpott kocht! Sind wir alle Mörder und Trinker?“ Die Neue Ruhr Zeitung forderte: „Werft den Prügel-Kommissar aus dem Programm!“ Nur die taz war begeistert: „Solche Bullen braucht das Land!“, stand in der Besprechung der ersten Folge. „Er verkörperte den Einzug des Proletariats in den Fernsehkrimi“, sagt WDR-Fernsehchef Ulrich Deppendorf heute. „Solche Mannsbilder gab es damals im Fernsehen nicht.“

Die Rede vom anarchischen Krawallo-Mannsbild, dem im „Tatort“ der Kollege Christian Thanner (Eberhard Feik) quasi als Ordnungshüter an die Seite gestellt werden musste („Mensch, Horst!“), übersieht allerdings den weichen Kern Schimanskis. Das FAZ-Magazin lieferte zu Schimanskis vorläufigem Abgang 1991 eine Art Grabinschrift: „Er war ein schüchterner Typ. Vor lauter Emotion heulte er oft drauflos und kriegte in jeder Folge eine ordentliche Tracht Prügel.“ Schimanskis Gewalt ist fast immer impulsiv – warum lange auf den Schlüsseldienst warten, wenn hinter der Tür ein Mensch Hilfe braucht? Und die verbalen Kraftausdrücke („Scheiße!“), mit denen man in den 80ern offenbar noch herrlich provozieren konnte, zählen heute zum Standard-Wortschatz deutscher Grundschüler.

Der Grund für Schimanskis Gewalt ist zudem ein zutiefst romantischer: Wie Anti-Terror-Ermittler Jack Bauer, sein Bruder im Geiste, muss Schimanski die Welt retten. Zwar nicht vor dem atomaren, aber vor dem sozialen Untergang. Je älter Schimmi wird, desto offensichtlicher ist dieses Ziel: In „Tod in der Siedlung“ betätigt er sich regelrecht als Sozialarbeiter, holt kleine Mädchen vom Straßenstrich, versorgt eine Todkranke und bringt einen Spielsüchtigen in Therapie. Der Schimanski, der in „Tod in der Siedlung“ auftaucht, ist viel mehr helfender Horst denn „Streetfighting Man“. Einer, der das Gute will und dafür Prügel bezieht. Wie das FAZ-Magazin schon vor Jahren schrieb: „Der einzige Held, den wir noch akzeptieren können: ein Verlierer.“

Ist Schimanski ein Macho? Diese Frage wurde von Anfang an heftig diskutiert. Schon 1985 schrieb Der Spiegel über den „Großstadt-Cowboy“ Schimanski: „In all seinen Widersprüchen und offen zur Schau getragenen Verletzungen erscheint er wie die Synthese aus dem Macho alter Art und dem sensiblen Ehemann hinterm Wickeltisch.“ Die Kunstfigur Schimanski trage nur Verantwortung für sich selbst und habe vom Macho nur die Brutalität und gelegentliche Anflüge von Sentimentalität – zum Beziehungsschwein fehle ihm allerdings die Beziehung.

Zum echten Macho fehlt Schimanski tatsächlich oft die Frau. Im Jubiläumsfilm ist seine Marie Claire gar eine ganze Folge lang verschwunden – sie zieht am Anfang aus, weil es mit dem Egomanen Schimanski schwer auszuhalten ist. Auch in früheren Folgen zeigt er sich dem anderen Geschlecht gegenüber geradezu scheu. „Er ist ein Typ mit extremer Bindungsangst“, sagt WDR-Mann Deppendorf über Schimanski.

Als das Polizeischiff am Duisburger Hafen angelegt hat und alle Fotos geschossen sind, legt Götz George seinen Parka ab. Darunter trägt er Anzug, Hemd, keine Krawatte. „Ich habe als ‚Schimanski‘ drei Intendanten überlebt“, sagt George. „Ich mache weiter, solange mich die Menschen lieben.“ Die nächste „Schimanski“-Folge soll schon dieses Jahr gedreht werden, George ist dann knapp 70. Der Mythos lebt weiter.