GÜNTHER OETTINGER KOMMT MIT DER GESCHICHTE NICHT INS REINE
: Der Karrierist am braunen Rand

Man muss Günther Oettinger fast schon dankbar sein. Mit seiner fatalen Rede am Sarg seines Amtsvorgängers Hans Filbinger hat der baden-württembergische Ministerpräsident eine Debatte um den rechten Rand der Südwest-CDU losgetreten, die er so schnell nicht loswerden wird – zum Glück, denn seine Partei hätte sie längst führen müssen. In den Fokus gerät das bislang kaum beachtete Faktum, dass Oettinger Mitglied des einst von Filbinger gegründeten rechtskonservativen Studienzentrums Weikersheim ist. Ausgerechnet Oettinger, der sich in Stuttgart stets als Modernisierer feiern ließ und nach den Wahlen im vorigen Jahr mit den Grünen flirtete.

Offenbar hielt der Karrierist Oettinger das Studienzentrum für einen jener zahlreichen Vereine, in die ein aufstrebender Politiker nun mal eintreten muss, um alle Spektren seiner potenziellen Anhängerschaft zu bedienen. Doch ein Verein, der den Ex-Abgeordneten Martin Hohmann und den Ex-General Reinhard Günzel zu Vorträgen einlädt, ist eben nicht der lokale Sportverein oder der örtliche Naturschutzbund. Schließlich hat Oettingers eigene Partei Hohmann aus ihren Reihen ausgeschlossen – weil er sich jenseits des demokratischen Spektrums bewegte. Genauso verfuhr die Bundeswehr mit Günzel. Wenn Oettinger jetzt behauptet, Redner- und Gästeliste des Weikersheimer Zentrums gäben zu keinerlei Verdächtigungen Anlass, dann hat er sie im günstigsten Fall nicht richtig studiert. Dass auch zahlreiche seiner baden-württembergischen Parteifreunde in Weikersheim ein und aus gehen, entlastet ihn jedenfalls nicht, es macht die Sache nur noch schlimmer.

Oettingers fehlendes Geschichtsverständnis äußerte sich schon in dem kuriosen Glauben, er könne die Debatte um seine Filbinger-Rede beenden, indem er sich vom Zentralrat der Juden eine Art Absolution erteilen lässt. Doch die Nähe der baden-württembergischen Union zum rechten Rand ist kein jüdisches Thema. Mit ihrem gestörten Verhältnis zur deutschen Geschichte muss die Partei selbst ins Reine kommen. Dass dies mit dem amtierenden Ministerpräsidenten noch gelingen kann, ist seit Oettingers neuerlicher Entgleisung kaum noch vorstellbar. RALPH BOLLMANN